Soziales Europa statt mehr Konkurrenz
Rede für die Fraktion während der Strasbourger Plenardebatte des Europäischen Parlaments zur Zukunft Europas am 16. Mai 2006.
Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Frau Kommissarin Wallström!
Die Kommission und nicht unerhebliche Teile dieses Parlaments haben sich sehr weit von den Bürgerinnen und Bürgern Europas entfernt. Die Bürger wollen nicht nur besser verstehen, was in den Institutionen vor sich geht, sie wollen mehr Partizipation. Sie wollen gefragt werden, sie wollen entscheiden können, sie wollen über die Zukunft Europas mitdiskutieren können, und sie wollen, dass das auch zur Kenntnis genommen wird.
Insofern habe ich eine andere Vorstellung von dem Begriff „Zuhören“, den Herr Barroso immer wieder verwendet. Genau hier müssen wir etwas ändern, damit wir letztendlich wirklich über die Zukunft der Europäischen Union diskutieren können. Auf seinen hundert Reisen hätte der Präsident nicht nur predigen, sondern wirklich zuhören sollen. Alle Beteiligten hätten von vielen Menschen sehr wohl konkrete Vorstellungen hören können, wie die Europäische Union in der Zukunft aussehen soll.
Wenige Tage nach dem Europäischen Sozialforum von Athen gab die Europäische Kommission eine Pressekonferenz, um ihre Initiative für eine Citizen’s Agenda bzw. ein bürgernahes Grundsatzprogramm vorzustellen.
Wer aber erwartet hatte, dass auch nur Bezug auf die Diskussionen während des Europäischen Sozialforums genommen wird, an dem immerhin 35 000 Menschen teilgenommen haben, der sah sich getäuscht.
Die Mitglieder meiner Fraktion nehmen dieses Forum allerdings ernst, und sie haben sich sowohl vor dem Forum als auch während des Forums in die Diskussion zu einem europäischen Appell eingebracht – „Europa gibt den Bürgerinnen und Bürgern das Sagen“ – und zur „Charta der Grundsätze für ein anderes Europa“.
Dies widerlegt alle Unterstellungen, dass Linke innerhalb der Europäischen Union nicht bereit wären, über die Zukunft der EU mitzudiskutieren bzw. sich an einer Verfassungsdiskussion zu beteiligen.
Ich teile die Ausgangsideen beider Papiere. Wir brauchen die wirklich demokratische Debatte über die Zukunft Europas und die Wege in die Zukunft. Und diese Debatte kann nur davon ausgehen, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar sein muss, dass sie zu achten und zu schützen ist.
Deshalb ist es in meinen Augen grotesk, wenn der Präsident der Europäischen Kommission am 10. Mai 2006 erklärt, „wir müssten durch ein bürgernahes Grundsatzprogramm Ergebnisse für Europa liefern. Wir haben heute unseren Vorschlag für ein bürgernahes Grundsatzprogramm angenommen, die Mitteilung schlägt elf Initiativen vor, die vor allem auf den Binnenmarkt abzielen.“
Genau da bleibt sich Präsident Barroso wieder treu. Er bleibt bei seiner Grundauffassung, dass das Ziel der Europäischen Union darin bestehen muss, insgesamt in der globalen Konkurrenz wettbewerbsfähig zu bleiben.
Das wird aber niemals dazu führen, dass wir wirklich zu einem solidarischen, sozialen Europa kommen und dass die soziale Kohäsion im Vordergrund steht.
Und das ist es, was die Bürgerinnen und Bürgern Europas kritisieren! Das ist der Weg, den sie nicht mitgestalten wollen. Sie wollen eine andere Prioritätensetzung, und ich denke, das sollte endlich einmal zur Kenntnis genommen werden. Damit müssen wir uns im Rahmen des Verfassungsprozesses und der Diskussionen um den Plan D innerhalb der Europäischen Union auseinandersetzen.