Kein Marsch zurück in die Vergangenheit!

Rede auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments zum Bericht über die Reflexionsphase: Struktur, Themen und Kontext für eine Bewertung der Debatte in der Europäischen Union (Duff/Voggenhuber-Bericht, A6-0414/2006)

Herr Präsident,

ein Satz im Bericht kann gar nicht dick genug unterstrichen werden: „Der Vertrag von Nizza bildet keine zukunftsfähige Grundlage für die Weiterführung des europäischen Integrationsprozesses.“ Und ich füge hinzu: dieser Vertrag steht für den Anfang vom Ende einer erweiterten Union der Bürgerinnen und Bürger.

Nizza – was heißt denn das? Keine rechtsverbindlichen Grundrechte, keine Bürgerinitiativen, keine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten, kein volles Haushaltsrecht für das Europäische Parlament, kein Interventionsrecht der nationalen Parlamente gegenüber Kommissionsvorschlägen, keine parlamentarische Kontrolle von Europol, kein Außenminister und kein europäischer diplomatischer Dienst… Die Liste all dessen, was Europa ohne Verfassung zu verlieren hat, ist sehr lang.

Nein, einen Marsch zurück in die Vergangenheit darf es nicht geben. Soll denn Nizza ernsthaft in Beton gegossen werden? Ich will nicht, dass die Europäische Union zu einer Freihandelszone mit beschränkter sozialer Haftung verkommt. Ein Kerneuropa, das neue Trennlinien in Europa aufreißt, ist inakzeptabel.

Deshalb: der Verfassungsprozess muss weitergehen, Europa braucht einen neuen Vertrag. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist vollkommen klar: mit einem bloßen „Weiter so!“ wird dies nicht gelingen. Die Sorgen und Probleme der Menschen müssen endlich ernst genommen werden. Das ist die klare Botschaft der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden. Was wir brauchen, das ist ein Politikwechsel in der Europäischen Union, und zwar hin zu einem sozialen Europa. Nur dann werden wir die aktive Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für die erweiterte Union und ein friedlich geeintes Europa bekommen.