Menschen nicht nur als Wirtschaftsfaktor betrachten
Rede im Europäischen Parlament zum Bericht über den demographischen Wandel.
Redebeitrag vom 23.03.2006 im Europäischen Parlament von Gabi Zimmer zum Bericht Bushill-Mathews zum Grünbuch der Kommission „Demographischer Wandel“
Herr Präsident,
über den demographischen Wandel kann man nur dann ernsthaft diskutieren, wenn Menschen als Individuen und nicht als Wirtschaftsfaktoren betrachtet werden.
Meines Erachtens wird aber genau dieser Fehler sowohl im Grünbuch der Kommission zum „Demographischen Wandel“ als auch im vorliegenden Bericht des Kollegen Bushill-Mathews gemacht.
Ebenso vermisse ich in der bisherigen Diskussion, dass der demographische Wandel als globales Problem betrachtet wird.
So ist es doch augenscheinlich, dass in unserer europäischen Debatte um den demographischen Wandel die Millennium Development Goals und der Kampf gegen Armut nicht die geringste Rolle spielen.
Das Problem besteht doch nicht in erster Linie darin, dass die europäische Bevölkerung sinkt, sondern dass dies erstens disproportional nach Regionen passiert, zweitens das Zusammenleben der Gesellschaft dadurch gefährdet wird und drittens wir diesen demographischen Wandel innerhalb der europäischen Gesellschaft in keinen Zusammenhang mit der explodierenden Weltbevölkerung stellen!
Die Alterungsprozesse der Gesellschaft in Europa betrachten wir fast ausschließlich unter dem Aspekt des schwindenden Arbeitskräftepotentials und lassen dabei völlig außer Acht, wie sich die Produktivität entwickelt.
Gleichzeitig instrumentalisieren wir sie, um Sozialleistungen sowie Kranken-, Gesundheits- und Rentenleistungen zu kürzen.
Es ist bemerkenswert, wie die Debatte zum demographischen Wandel benutzt wird, um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu begründen. So veröffentlichte die Kommission vor einiger Zeit eine Studie zum demographischen Wandel, in der die Erhöhung des Rentenalters auf 71 Jahre als Ausweg angeboten wird.
Ich fordere dagegen eine andere Prioritätensetzung in der Politik:
1. Wir brauchen eine tatsächlich kinderfreundliche Gesellschaft, in der die Menschen auch tatsächlich überhaupt mit Kindern zusammenleben wollen.
Wir kommen aus unserem Dilemma nicht heraus, wenn wir Kinder vor allem als Investition für die Sicherung des Arbeitskräftepotentials und für die künftige Alterssicherung betrachten. Es reicht deshalb auch keineswegs aus, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Verbindung von Arbeits- und Freizeit zu stellen. Es geht um das Kind als Individuum, um seinen Anspruch auf eine glückliche Kindheit!
2. Die Gesellschaft muss den Herausforderungen der Alterungsprozesse begegnen. Zum Beispiel durch den Ausbau von Humandienstleistungen und durch Stadtentwicklung im Sinne von altersgerechten Wohnen und/oder des altersgerechten Verkehrs sowie des kindergerechten Verkehrs. Es gibt vielmehr Verbindungen zwischen alters- und kindgerechten Stadtverkehr als wir gegenwärtig wahrnehmen!