Markov/Schüttpelz: Verkehrspolitik als Teil gesellschaftlicher Gestaltung der Zukunft

Zukunftsfähige Verkehrspolitik müsse auf die Vermeidung nicht dringend notwendiger Transporte, auf die vermehrte Nutzung von Alternativen zum Straßenverkehr und auf die deutliche Beschränkung von Schadstoffemissionen abzielen, schreiben Helmuth Markov und Nora Schüttpelz in ihrem Namensbeitrag für politikerscreen.de.

Zukunftsfähige Verkehrspolitik müsse auf die Vermeidung nicht dringend notwendiger Transporte, auf die vermehrte Nutzung von Alternativen zum Straßenverkehr und auf die deutliche Beschränkung von Schadstoffemissionen abzielen, schreiben Helmuth Markov und Nora Schüttpelz in ihrem Namensbeitrag für politikerscreen.de.

„Mobilität und damit auch Flexibilität werden von den meisten von uns im Arbeitsleben erwartet. Unternehmen, ganz gleich, ob kleine oder große, benötigen gute, sichere und schnelle Transportwege. Auch im Privatleben möchte fast jeder mobil sein und ist darauf angewiesen, kürzere oder längere Fahr- und Flugstrecken zurückzulegen. Moderne Technik bietet theoretisch immer mehr und bessere Möglichkeiten, vielen dieser Anforderungen und Bedürfnissen gerecht zu werden. Der beständig zunehmende Verkehr, insbesondere der Straßenverkehr, bringt jedoch eine Reihe Probleme mit sich: verstopfte Straßen und Autobahnen, Unfälle mit Todesfolgen oder Schwerverletzen, Überlastung vieler Schienenwege, Verspätungen mit negativen wirtschaftlichen Folgen, finanzielle Schwierigkeiten der Länder und Kommunen bei der Instandhaltung und Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur, Verteuerung von Transportleistungen und damit soziale Benachteiligung derer, die weniger dafür bezahlen können, Umweltschädigungen durch Lärm und Schadstoffemissionen, Zubetonierung von Grünanlagen und anderen öffentlichen Räumen für Straßen und Parkflächen – um nur einige wenige Punkte aufzuzählen.

Das alles ist nicht wirklich neu. Auch die Europäische Kommission hatte diese Probleme vor einigen Jahren erkannt und machte sich auf, ihren Beitrag zu deren Bewältigung zu leisten. Es gibt allgemeine verkehrspolitischen Strategien und solche zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit. Zum Teil sind ehrgeizige Ziele formuliert worden – wie die Halbierung der Zahl der Verkehrstoten oder die weitgehende Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene. Es gibt EU-Bestimmungen über Arbeitsbedingungen von Fahrpersonal, über die Verringerung des CO2-Aussoßes von Fahrzeugen, zur Gurtanlegepflicht oder zur Tunnelsicherheit. Alles gut und schön. Nur: Angesichts der Tatsache, dass die oben genannten Probleme sich dennoch immer weiter verschärfen, muss man sich doch fragen, ob einige der Grundansätze der tatsächlichen Politik zu den selbstgesteckten Zielen passt. Und zwar sowohl die der Mitgliedstaaten als auch die der EU.

Wohl wissend um die Vielzahl der unterschiedlichen Interessengruppen und die daraus sich ergebende Schwierigkeit, Vorschläge zu unterbreiten, die all jenen Interessen gerecht werden, halte ich es dennoch für notwendig, die einmal festgelegten politischen Prioritäten zu überprüfen und auch gegebenenfalls zu ändern.

Zukunftsfähige und verbraucherfreundliche Verkehrspolitik setzt aus meiner Sicht vor allem auf die Vermeidung nicht dringend notwendiger Transporte, auf die vermehrte Nutzung von Alternativen zum Straßenverkehr und auf die deutliche Beschränkung von Schadstoffemissionen. Dazu ist es notwendig, Verkehrspolitik in einen größeren Rahmen einzuordnen, der gesellschaftliche Entwicklungsprozesse einbezieht und diese bewusst gestaltet.

Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und die Schaffung vielfältiger Angebote auf lokaler Ebene. Man denke dabei nicht nur an das Prinzip, dass regionale Produkte gefördert und auch vor Ort gehandelt werden sollten (im ländlich geprägten Mecklenburg-Vorpommern müssen nicht unbedingt Äpfel aus Italien oder Milch aus Bayern in den Supermarktregalen liegen), sondern auch an einen breiteren Infrastrukturbegriff. Will heißen: Nicht nur die reine Verkehrsinfrastruktur wie insbesondere ÖPNV, Eisenbahn-, Fahrrad-, Straßen- und Wasserwege müssen in solidem Zustand gehalten werden. Kulturelle und Bildungsangebote gehören ebenso zu den Bedürfnissen eines jeden Menschen und sollten auf kurzem Wege erreichbar sein. Ganz zu schweigen von wohnortnahen Arbeitsmöglichkeiten, aber auch Waren- und Dienstleistungsangeboten. Diese dezentrale Organisation von Produktion und Verbrauch funktioniert natürlich nur, wenn nicht ausschließlich Großstädte zu Kernzentren erkoren werden, wie es gerade Mode ist, sondern eben auch weniger große Städte, so dass dichte Netzwerke entstehen.

Nichtverderbliche Güter wie Metalle, Kies, Stahlprodukte, die nicht oder nicht wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll lokal oder regional hergestellt werden können, müssen in aller Regel nicht unbedingt binnen weniger Stunden per Transportlaster von A nach B gebracht werden. Das nützt häufig ausschließlich einigen Großunternehmen, die die Straße als billige Lagerhallen verwenden. Werden zukünftig die ökologischen Kosten von Umweltschäden und die sozialen Folgekosten von Unfällen – z. B. in Form von Maut-Gebühren oder Kraftstoffpreisen – internalisiert, mag sich neben dem Schienenverkehr vielfach die Binnenschifffahrt als Alternative anbieten.

Innerhalb von Städten ist es vorstellbar, dass unter anderem der Gedanke der guten alten Rohrpost wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Unter Häuserzeilen ließen sich Transportbänder einrichten, die beispielsweise Müll direkt in eine zentrale Sammelstelle befördern. Und warum nicht einfach öfter einmal ausprobieren, in wie weit es sich lohnt, öffentlichen Personennahverkehr, statt immer mehr davon ‚einzusparen‘, gebührenfrei anzubieten, wofür es in Europa bereits einige Pilotprojekte gibt. Wenn dabei, sagen wir, kürzere, automatisierte Züge ohne Fahr- und mit weniger Kontrollpersonal (weil es ja keine Fahrscheine zu kontrollieren gibt) eingesetzt werden, können sogar kürzere Taktzeiten eingeführt werden. Das macht den ÖPNV attraktiver, gerechter (weil für jedermann/-frau zugänglich), verringert den Straßenverkehr und kann sogar Kosten sparen, die dann wieder für die Schaffung von Arbeitsplätzen z. B. im Servicebereich eingesetzt werden können.

Um solche Entwicklungen voranzutreiben, braucht es natürlich technische Weiterentwicklungen. Auf der einen Seite können diese durch Umorientierung in der Forschungsförderung erreicht werden. Stichworte wären neben den rein technischen Fahrzeugentwicklungen unter anderem: regenerative Energien, Wasserstoffbusse, moderne Schiffsmotoren, die weniger Wellengang verursachen.

Dass 1-Liter-Autos oder solche mit Bio-Kraftstoffantrieb zwar möglich sind, aber nicht vorwärts gebracht werden, ist der falsche Weg. Selbstverständlich müssen auch die anderen Verkehrsträger immer umweltfreundlicher werden. Ein weiterer – komplementärer – Ansatz zur Reduzierung von Umweltschädigungen ist eine strengere Umweltgesetzgebung. Selbstverpflichtungen der Automobilhersteller – und solche gibt es – sind eine gute Sache. Allein: wenn durch sie eben nicht die gesetzten Reduktionsziele erreicht werden, muss dann doch politisch legislatives Handeln einsetzen: die Verpflichtung öffentlicher Stellen, besonders ökologische Fahrzeuge einzukaufen, so sie solche benötigen; Schadstoffemissionen zum Kriterium bei der Berechnung der Kfz-Steuer machen; Flugzeugkraftstoff endlich auch besteuern.

Nicht nur der reine Naturschutz erfordert derartige Regelungen. Einmal ganz abgesehen davon, dass der selbstverständlich auch den Bürgerinnen und Bürgern entgegenkommt. Es geht bei allen diesen Überlegungen genau um sie, die Mobilität berechtigter Weise einfordern (weil diese ja auch von ihnen verlangt wird). Politik ist genauso verantwortlich für ein gutes Maß an Verbraucherschutz. Natürlich ist z. B. eine gewisse Anzahl an Großflughäfen für den Güter- und Personenferntransport notwendig. Aber es ist relativ unwahrscheinlich, dass ein Nachtflugverbot von 01h00 bis 06h00 den internationalen Flugverkehr völlig lahm legt. Hat man die sinnvolle Idee, dass sich Straßen- und Schienenwege in Städten unterirdisch bauen lassen, um öffentliche Räume zu erhalten, müssen dafür Schall- und Vibrationsdämpfungen vorgeschrieben sein – in Brüssel wenigstens teilweise lebend, weiß ein Europaabgeordneter, dass das Radioprogramm allmorgendlich ausfällt, wenn ein Zug unter der eigenen Wohnung durchfährt.

Selbst wenn sich einige der skizzierten Vorschläge in Papieren zur Verkehrspolitik finden, werden doch die meisten davon in der Realität nicht wirksam vorangetrieben. Vor allem wird viel zu sehr auf die ‚unsichtbare Hand des Marktes‘ gesetzt, Liberalisierung beinahe zum Allheilmittel erklärt, statt sich der ureigenen Aufgabe von Politik zu stellen, gesellschaftlich Notwendiges zu organisieren. Das bedeutet eben auch, in bestimmten Bereichen regulierend einzugreifen. Dass dies keineswegs zwangsläufig zum Verlust von Wettbewerbsfähigkeit führt, beweisen Beispiele wie restriktive Schadstoffemissions-Auflagen bei der Zulassung von Fahrzeugen im wirtschaftlich gar nicht hinterherhinkenden Bundesstaat Kalifornien oder die Festlegung auf New Yorker Highways, dass bestimmte Schnellspuren nur benutzt werden dürfen, wenn mindestens zwei Personen in einem Pkw sitzen. Einige Kommunen in Belgien bieten kostenfreien ÖPNV an. In Großstädten wie Amsterdam finden sich autofreie oder verkehrsberuhigte Zonen im Stadtzentrum.

Dies ist nur eine kleine Zusammenfassung bereits existierender Ideen und Möglichkeiten. Diese können Realität werden, wenn sich dafür gesellschaftliche Mehrheiten finden. Mehrheiten setzen sich aber nur aus artikulierten Positionierungen zusammen. Das bedeutet, dass jeder, der die hier vorgestellten Hoffnungen teilt und weiterentwickeln möchte, sich auch zu Worte melden sollte.“

(Helmuth Markov ist Europaabgeordneter der Linkspartei.PDS-Delegation in der GUE/NGL-Fraktion, Mitglied des Ausschusses für internationalen Handel und stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr. Nora Schüttpelz ist Mitarbeiterin von Helmuth Markov und Mitglied des Vorstandes der Jungen Linken.PDS Berlin-Brandenburg.)