Wir wollen ein friedliches und soziales Europa!

Rede auf der 2. Tagung des 9. Landesparteitages der Linkspartei.PDS Sachsen

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste aus unseren Nachbarländern,
Sachsen liegt im Dreiländereck – eine Region an der Grenze von drei Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit einer gemeinsamen, höchst wechselvollen Geschichte. Polen war Spielball im Machtpoker der Großmächte. Auch Tschechien machte die bittere Erfahrung von Fremdherrschaft. Über Jahrhunderte wurde Europa mit Kriegen überzogen. Auf den Landkarten reiht sich ein Schlachtfeld an das andere, und es gibt wohl keine benachbarten Völker, die nicht gegeneinander Krieg führten. Millionen Menschen bezahlten diesen Wahnsinn mit ihrem Leben. Insbesondere der von Hitlerdeutschland entfachte Zweite Weltkrieg hinterließ Wunden, die – wie wir alle wissen und es noch immer tagtäglich erleben – bis heute nicht vollständig geheilt sind.

Diese schmerzlichen Erfahrungen europäischer Geschichte sind es, die wir uns immer wieder in Erinnerung rufen müssen, wenn wir, Linke aus Polen, Tschechien oder Deutschland, über Europa und die Gestaltung seiner Zukunft reden – denn wir wollen an dem gemeinsamen Haus Europa mitbauen. Wir wollen ein wirklich geeintes Europa schaffen, in dem die Staaten und Völker für immer friedlich, auf gleicher Augenhöhe und in sozial gesicherten Verhältnissen miteinander leben können. Erlaubt mir an dieser Stelle an die Worte Willy Brandts zu erinnern, der einmal sinngemäß sagte: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.

Weil es die Europäische Union gibt, erscheint es heute nahezu unvorstellbar, dass sich Deutsche, Franzosen, Briten oder Polen je wieder hasserfüllt mit Waffen gegenüber stehen und ihre Konflikte militärisch austragen. Unvorstellbar – ja, aber woher nehmen wir eigentlich diese Gewissheit? Wer von uns hätte denn vor 17 Jahren auch nur im Traum daran gedacht, dass sich die Sowjetunion – damals für viele der Inbegriff gesellschaftlichen Fortschritts überhaupt – quasi über Nacht in Luft auflöst? Wer von uns hätte es damals für möglich gehalten, wie schnell sicher Geglaubtes unwiederbringlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt? Diese Erfahrung jedenfalls sollten wir nicht aus den Augen verlieren, wenn wir über das im Bau befindliche gemeinsame Haus Europa reden und streiten.

Tatsache ist und bleibt: Das Projekt „Europäische Union“ ist historisch einzigartig. Noch nie zuvor haben so viele Staaten und Völker freiwillig versucht, ihre Zukunft miteinander friedlich zu gestalten. Dieses Projekt ist aber auch sehr empfindlich. Schon deshalb müssen wir Nationalismus und nationalistische Stimmungsmache gegen Europa energisch bekämpfen, egal wie und in welchem Land sie in Erscheinung treten.

Gewiss, es gibt an dieser Europäischen Union viel zu kritisieren. Wir erleben derzeit eine Sinn- und Zweckkrise im Hinblick auf ihre weitere Entwicklung. Viele Menschen nehmen die Erweiterung nicht als Fortschritt, sondern als Bedrohung ihrer Existenz wahr. Sie stellen Fragen zur Identität ihrer Nation. Befürchtet wird, dass im vereinten Europa Solidarität und Gerechtigkeit unter die Räder kommen, dass im Zuge der Globalisierung eine Entgrenzung droht. Das Vertrauen in europäische Politik, die vielfach als undurchschaubar und bürokratisch empfunden wird, nimmt ab. Als Reaktion darauf breitet sich der gefährliche Virus der Renationalisierung aus – auch unter Linken. Die Union hat sich von ihren Bürgerinnen und Bürgern entfernt – und dieser Graben zwischen europäischer Politik und den Sorgen und Nöten der Menschen, die sie tagtäglich umtreiben, ist tief. In vielen Mitgliedstaaten prägen Arbeitslosigkeit, Chancenlosigkeit und Zukunftsängste das gesellschaftliche Leben. All das zeigt, auf welch schwankenden Säulen die Legitimationsgrundlagen der europäischen Integration und damit die europäische Einigung heute ruhen.

Wir als Linke sollten darüber aber nicht erfreut sein, und wir sollten aufpassen, nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. Es wäre ein strategischer Fehler, die Europäische Union als ausschließliches Ziel fundamentaler Kritik und linker Opposition auszumachen und sie gleichzeitig als politische Gestaltungsebene für ein friedliches, soziales, solidarisches und ökologisches Europa auszublenden. Opfer würde letztendlich die europäische Einigung sein, zu der es keine vernünftige Alternative gibt. Bekämpfen müssen wir deshalb vielmehr die neoliberale Politik in der EU, und zwar gemeinsam mit sozialen und alternativen Bewegungen. Die Leittragenden der neoliberalen Politik, die sozial Schwachen und Armen in allen europäischen Gesellschaften, im Westen wie im Osten Europas, sind es, deren Interessen wir vorrangig vertreten.

Wer das „Europa der Konzerne“ beklagt, hat völlig Recht. Wie aber könnte den Multis besser entgegengetreten werden als mit supranationaler Politik? Wie könnten die negativen Folgen der Globalisierung besser überwunden werden als mit einem großen gemeinsamen Binnenmarkt? Die Europäische Union mag aus linker Sicht nicht das idealste Instrument dafür sein, aber sie ist sicherlich das beste, das es derzeit gibt. Deshalb wiederhole ich: Es kann nicht um die Ablehnung oder gar Abschaffung der EU gehen, sondern es gilt, für eine deutliche Kurskorrektur der europäischen Politik zu streiten. Das ist schwierig und langwierig, aber gewiss nicht unmöglich.

Und noch eins, liebe Genossinnen und Genossen. Wenn wir über die Europäische Union reden, dann reden wir über einen politischen Gestaltungsraum, in dem bald 500 Millionen Menschen leben – das sind mehr Menschen als die Bevölkerung Russlands und der USA zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass ein geeintes Europa nie zustande kommt, wenn jede politische Richtung ihre eigenen Vorstellungen zum alleinigen Maß aller Dinge erhebt. Das geeinte Europa kann nur mit dem Willen aller aufgebaut werden, und dies setzt auch bei allen die Bereitschaft voraus, Vorstellungen anderer nicht einfach zu ignorieren oder kompromisslos abzulehnen. Ich denke, wir sollten uns als Linke nicht anmaßen, der Aufbau eines geeinten Europas richte sich allein nach unseren Maßstäben.

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich möchte Eure Aufmerksamkeit abschließend noch auf ein Thema lenken, das mir besonders am Herzen liegt – die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union im Kontext der anwachsenden atomaren Gefahr:

Die Linkspartei.PDS hat den jüngst vollzogenen nordkoreanischen Atomtest als eine Handlung verurteilt, die verabscheuungswürdig ist, zumal die Menschen in Nordkorea dafür noch zusätzlich bluten müssen. Ich selbst habe mich dazu ebenso öffentlich geäußert. Dieser Atomtest ist ein weiterer Baustein hin zu einer nuklearisierten Welt. Kernwaffen werden nicht mehr nur als letztes Mittel zur Abschreckung, sondern wieder als Waffen zur Kriegsführung betrachtet. Die nukleare Präventivkriegsstrategie der USA und ihr Irakkrieg ermutigen Regimes wie in Nordkorea oder Iran doch geradezu, sich durch Atomwaffen eine vermeintliche Unverwundbarkeit zu verschaffen. Japan und Taiwan fühlen sich durch den nordkoreanischen Test bedroht, und dort werden inzwischen Stimmern laut zu erwägen, eigene Atomwaffen herzustellen. Befürchtet wird, dass sich auch Terroristen in den Besitz von Massenvernichtungswaffen bringen könnten. Die ständigen fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – die so genannten legalen Nuklearbesitzer USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China – kommen ihren Verpflichtungen aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag zur durchgreifenden atomaren Abrüstung nicht nach. Vielmehr modernisieren sie ihre Arsenale. Die USA planen eine völlig neue Generation nuklearer Waffen und stellen so den Atomwaffensperrvertrag vollends infrage. Ohne sich dafür verantworten zu müssen, blieben Indien, Pakistan und Israel dem Nichtweiterverbreitungsvertrag von Anfang an fern. In Europa brüstet sich Staatspräsident Chirac besonders gerne mit der „Glaubwürdigkeit“ französischer Nukleartechnologie. Im Grunde steuert die Welt sehenden Auges in die nukleare Anarchie.

Vor diesem bedrohlichen Hintergrund sind umgehend konzertierte politische Aktionen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union erforderlich, und zwar in Richtung Abrüstung, nukleare Nichtweiterverbreitung und Rüstungskontrolle. Hinreichend Handlungsorientierung dafür enthält der dem UN-Generalsekretär übergebene Bericht einer Kommission unter Leitung des früheren UN-Waffeninspektors Blix. Darin wird klipp und klar die Auffassung zurückgewiesen, dass „Atomwaffen in den Händen der einen keine Bedrohung darstellen, während sie im Besitz anderer die Welt einer tödlichen Gefahr aussetzen.“ Wahr ist: Solange auch nur ein Staat Atomwaffen hat, werden andere sie ebenfalls haben wollen.

Am 1. Januar übernimmt die Bundesrepublik für sechs Monate die Präsidentschaft in der EU. Ich fordere die Bundesregierung heute und hier auf, diese Präsidentschaft zu nutzen, um als Impuls- und Ideengeber für die EU im Sinne des Blix-Berichts zu handeln. So könnte sie die oft beschworene Verantwortung Deutschlands für den Frieden in der Welt in wirkliches Handeln umsetzen. Vor allem Abrüstung muss auf den Weg gebracht werden. Sie ist das einzige Instrument, um die Verbreitung von Atomwaffen und damit verbundene Risiken wirksam zu bekämpfen. Klar ist: Der Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen als wichtigste rüstungskontrollpolitische Errungenschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn die alten Atommächte mit eigenen Abrüstungsschritten vorangehen. In diese Richtung zu wirken, muss ein zentrales Anliegen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU werden. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, mit den USA die Rückführung ihrer in Deutschland, Großbritannien, Italien, Belgien, den Niederlanden und der Türkei verbliebenen Atomwaffen zu vereinbaren.

Liebe Genossinnen und Genossen,
als Abgeordnete, die Sachsen in Europa vertritt, habe ich stets für eine friedensfähige und friedensbewahrende Europäische Union gestritten, auch als einzige Frau aus der Bundesrepublik im Europäischen Verfassungskonvent. Ich werde dies auch künftig tun, denn ich bin überzeugt: Europa benötigt weder Fähigkeiten zur globalen Kriegsführung, noch eine weltweit agierende Interventionstruppe oder einen Rüstungswettlauf – schon gar nicht mit den USA!

Es ist so einfach wie wahr: Europa ist nicht weit weg. Es ist permanent präsent in unser aller Alltagsleben. Die europäische Einigung ist zugleich ein kostbares, schützenswertes Gut. Es gibt sehr viel zu tun, um Sachsen, Deutschland und Europa zu verändern. Lasst es uns gemeinsam tun. In diesem Sinne wünsche ich Eurem Parteitag viel Erfog.

Rede auf der 2. Tagung des 9. Landesparteitages der Linkspartei.PDS Sachsen

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste aus unseren Nachbarländern,
Sachsen liegt im Dreiländereck – eine Region an der Grenze von drei Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit einer gemeinsamen, höchst wechselvollen Geschichte. Polen war Spielball im Machtpoker der Großmächte. Auch Tschechien machte die bittere Erfahrung von Fremdherrschaft. Über Jahrhunderte wurde Europa mit Kriegen überzogen. Auf den Landkarten reiht sich ein Schlachtfeld an das andere, und es gibt wohl keine benachbarten Völker, die nicht gegeneinander Krieg führten. Millionen Menschen bezahlten diesen Wahnsinn mit ihrem Leben. Insbesondere der von Hitlerdeutschland entfachte Zweite Weltkrieg hinterließ Wunden, die – wie wir alle wissen und es noch immer tagtäglich erleben – bis heute nicht vollständig geheilt sind.

Diese schmerzlichen Erfahrungen europäischer Geschichte sind es, die wir uns immer wieder in Erinnerung rufen müssen, wenn wir, Linke aus Polen, Tschechien oder Deutschland, über Europa und die Gestaltung seiner Zukunft reden – denn wir wollen an dem gemeinsamen Haus Europa mitbauen. Wir wollen ein wirklich geeintes Europa schaffen, in dem die Staaten und Völker für immer friedlich, auf gleicher Augenhöhe und in sozial gesicherten Verhältnissen miteinander leben können. Erlaubt mir an dieser Stelle an die Worte Willy Brandts zu erinnern, der einmal sinngemäß sagte: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.

Weil es die Europäische Union gibt, erscheint es heute nahezu unvorstellbar, dass sich Deutsche, Franzosen, Briten oder Polen je wieder hasserfüllt mit Waffen gegenüber stehen und ihre Konflikte militärisch austragen. Unvorstellbar – ja, aber woher nehmen wir eigentlich diese Gewissheit? Wer von uns hätte denn vor 17 Jahren auch nur im Traum daran gedacht, dass sich die Sowjetunion – damals für viele der Inbegriff gesellschaftlichen Fortschritts überhaupt – quasi über Nacht in Luft auflöst? Wer von uns hätte es damals für möglich gehalten, wie schnell sicher Geglaubtes unwiederbringlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt? Diese Erfahrung jedenfalls sollten wir nicht aus den Augen verlieren, wenn wir über das im Bau befindliche gemeinsame Haus Europa reden und streiten.

Tatsache ist und bleibt: Das Projekt „Europäische Union“ ist historisch einzigartig. Noch nie zuvor haben so viele Staaten und Völker freiwillig versucht, ihre Zukunft miteinander friedlich zu gestalten. Dieses Projekt ist aber auch sehr empfindlich. Schon deshalb müssen wir Nationalismus und nationalistische Stimmungsmache gegen Europa energisch bekämpfen, egal wie und in welchem Land sie in Erscheinung treten.

Gewiss, es gibt an dieser Europäischen Union viel zu kritisieren. Wir erleben derzeit eine Sinn- und Zweckkrise im Hinblick auf ihre weitere Entwicklung. Viele Menschen nehmen die Erweiterung nicht als Fortschritt, sondern als Bedrohung ihrer Existenz wahr. Sie stellen Fragen zur Identität ihrer Nation. Befürchtet wird, dass im vereinten Europa Solidarität und Gerechtigkeit unter die Räder kommen, dass im Zuge der Globalisierung eine Entgrenzung droht. Das Vertrauen in europäische Politik, die vielfach als undurchschaubar und bürokratisch empfunden wird, nimmt ab. Als Reaktion darauf breitet sich der gefährliche Virus der Renationalisierung aus – auch unter Linken. Die Union hat sich von ihren Bürgerinnen und Bürgern entfernt – und dieser Graben zwischen europäischer Politik und den Sorgen und Nöten der Menschen, die sie tagtäglich umtreiben, ist tief. In vielen Mitgliedstaaten prägen Arbeitslosigkeit, Chancenlosigkeit und Zukunftsängste das gesellschaftliche Leben. All das zeigt, auf welch schwankenden Säulen die Legitimationsgrundlagen der europäischen Integration und damit die europäische Einigung heute ruhen.

Wir als Linke sollten darüber aber nicht erfreut sein, und wir sollten aufpassen, nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. Es wäre ein strategischer Fehler, die Europäische Union als ausschließliches Ziel fundamentaler Kritik und linker Opposition auszumachen und sie gleichzeitig als politische Gestaltungsebene für ein friedliches, soziales, solidarisches und ökologisches Europa auszublenden. Opfer würde letztendlich die europäische Einigung sein, zu der es keine vernünftige Alternative gibt. Bekämpfen müssen wir deshalb vielmehr die neoliberale Politik in der EU, und zwar gemeinsam mit sozialen und alternativen Bewegungen. Die Leittragenden der neoliberalen Politik, die sozial Schwachen und Armen in allen europäischen Gesellschaften, im Westen wie im Osten Europas, sind es, deren Interessen wir vorrangig vertreten.

Wer das „Europa der Konzerne“ beklagt, hat völlig Recht. Wie aber könnte den Multis besser entgegengetreten werden als mit supranationaler Politik? Wie könnten die negativen Folgen der Globalisierung besser überwunden werden als mit einem großen gemeinsamen Binnenmarkt? Die Europäische Union mag aus linker Sicht nicht das idealste Instrument dafür sein, aber sie ist sicherlich das beste, das es derzeit gibt. Deshalb wiederhole ich: Es kann nicht um die Ablehnung oder gar Abschaffung der EU gehen, sondern es gilt, für eine deutliche Kurskorrektur der europäischen Politik zu streiten. Das ist schwierig und langwierig, aber gewiss nicht unmöglich.

Und noch eins, liebe Genossinnen und Genossen. Wenn wir über die Europäische Union reden, dann reden wir über einen politischen Gestaltungsraum, in dem bald 500 Millionen Menschen leben – das sind mehr Menschen als die Bevölkerung Russlands und der USA zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass ein geeintes Europa nie zustande kommt, wenn jede politische Richtung ihre eigenen Vorstellungen zum alleinigen Maß aller Dinge erhebt. Das geeinte Europa kann nur mit dem Willen aller aufgebaut werden, und dies setzt auch bei allen die Bereitschaft voraus, Vorstellungen anderer nicht einfach zu ignorieren oder kompromisslos abzulehnen. Ich denke, wir sollten uns als Linke nicht anmaßen, der Aufbau eines geeinten Europas richte sich allein nach unseren Maßstäben.

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich möchte Eure Aufmerksamkeit abschließend noch auf ein Thema lenken, das mir besonders am Herzen liegt – die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union im Kontext der anwachsenden atomaren Gefahr:

Die Linkspartei.PDS hat den jüngst vollzogenen nordkoreanischen Atomtest als eine Handlung verurteilt, die verabscheuungswürdig ist, zumal die Menschen in Nordkorea dafür noch zusätzlich bluten müssen. Ich selbst habe mich dazu ebenso öffentlich geäußert. Dieser Atomtest ist ein weiterer Baustein hin zu einer nuklearisierten Welt. Kernwaffen werden nicht mehr nur als letztes Mittel zur Abschreckung, sondern wieder als Waffen zur Kriegsführung betrachtet. Die nukleare Präventivkriegsstrategie der USA und ihr Irakkrieg ermutigen Regimes wie in Nordkorea oder Iran doch geradezu, sich durch Atomwaffen eine vermeintliche Unverwundbarkeit zu verschaffen. Japan und Taiwan fühlen sich durch den nordkoreanischen Test bedroht, und dort werden inzwischen Stimmern laut zu erwägen, eigene Atomwaffen herzustellen. Befürchtet wird, dass sich auch Terroristen in den Besitz von Massenvernichtungswaffen bringen könnten. Die ständigen fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – die so genannten legalen Nuklearbesitzer USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China – kommen ihren Verpflichtungen aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag zur durchgreifenden atomaren Abrüstung nicht nach. Vielmehr modernisieren sie ihre Arsenale. Die USA planen eine völlig neue Generation nuklearer Waffen und stellen so den Atomwaffensperrvertrag vollends infrage. Ohne sich dafür verantworten zu müssen, blieben Indien, Pakistan und Israel dem Nichtweiterverbreitungsvertrag von Anfang an fern. In Europa brüstet sich Staatspräsident Chirac besonders gerne mit der „Glaubwürdigkeit“ französischer Nukleartechnologie. Im Grunde steuert die Welt sehenden Auges in die nukleare Anarchie.

Vor diesem bedrohlichen Hintergrund sind umgehend konzertierte politische Aktionen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union erforderlich, und zwar in Richtung Abrüstung, nukleare Nichtweiterverbreitung und Rüstungskontrolle. Hinreichend Handlungsorientierung dafür enthält der dem UN-Generalsekretär übergebene Bericht einer Kommission unter Leitung des früheren UN-Waffeninspektors Blix. Darin wird klipp und klar die Auffassung zurückgewiesen, dass „Atomwaffen in den Händen der einen keine Bedrohung darstellen, während sie im Besitz anderer die Welt einer tödlichen Gefahr aussetzen.“ Wahr ist: Solange auch nur ein Staat Atomwaffen hat, werden andere sie ebenfalls haben wollen.

Am 1. Januar übernimmt die Bundesrepublik für sechs Monate die Präsidentschaft in der EU. Ich fordere die Bundesregierung heute und hier auf, diese Präsidentschaft zu nutzen, um als Impuls- und Ideengeber für die EU im Sinne des Blix-Berichts zu handeln. So könnte sie die oft beschworene Verantwortung Deutschlands für den Frieden in der Welt in wirkliches Handeln umsetzen. Vor allem Abrüstung muss auf den Weg gebracht werden. Sie ist das einzige Instrument, um die Verbreitung von Atomwaffen und damit verbundene Risiken wirksam zu bekämpfen. Klar ist: Der Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen als wichtigste rüstungskontrollpolitische Errungenschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn die alten Atommächte mit eigenen Abrüstungsschritten vorangehen. In diese Richtung zu wirken, muss ein zentrales Anliegen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU werden. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, mit den USA die Rückführung ihrer in Deutschland, Großbritannien, Italien, Belgien, den Niederlanden und der Türkei verbliebenen Atomwaffen zu vereinbaren.

Liebe Genossinnen und Genossen,
als Abgeordnete, die Sachsen in Europa vertritt, habe ich stets für eine friedensfähige und friedensbewahrende Europäische Union gestritten, auch als einzige Frau aus der Bundesrepublik im Europäischen Verfassungskonvent. Ich werde dies auch künftig tun, denn ich bin überzeugt: Europa benötigt weder Fähigkeiten zur globalen Kriegsführung, noch eine weltweit agierende Interventionstruppe oder einen Rüstungswettlauf – schon gar nicht mit den USA!

Es ist so einfach wie wahr: Europa ist nicht weit weg. Es ist permanent präsent in unser aller Alltagsleben. Die europäische Einigung ist zugleich ein kostbares, schützenswertes Gut. Es gibt sehr viel zu tun, um Sachsen, Deutschland und Europa zu verändern. Lasst es uns gemeinsam tun. In diesem Sinne wünsche ich Eurem Parteitag viel Erfog.