Antifaschismus in Europa

Rede von Helmuth Markov auf der internationalen Konferenz „Antifaschismus in Europa“ anläßlich des 60+1. Jahrestages der Befreiung vom Hitlerfaschismus, 10.-13. Mai 2006 in Brüssel

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
verehrte Widerstandskämpfer aus 15 Ländern.

ich möchte auf ein Thema eingehen, das sicherlich nicht neu ist, das in unterschiedlichen Variationen und Facetten bereits seit dem Ende der Schreckens- und Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus aufgetreten ist, der Versuch, geschichtliche Ereignisse umzudeuten, kurz, der Geschichtsrevisionismus. Im Rundbrief 1+2/06 der AG Rechtsextremismus/ Antifaschismus beim Parteivorstand der Linkspartei. PDS gibt es dazu einen wunderbaren Artikel von Dr. Zilkenat, aus dem ich mit seiner Zustimmung eine Vielzahl von Fakten verwendet habe.
Mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu den Schrecken des Naziterrors und insbesondere seit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa wird von konservativen und rechten politischen und pseudowissenschaftlichen Kreisen die Nazidiktatur mit den kommunistischen Staaten auf eine Stufe gestellt. In immer neuen Publikationen, wie unter anderem dem „Schwarzbuch des Kommunismus“ wird dargestellt, dass die kommunistischen Diktaturen noch wesentlich schrecklicher waren und mehr Menschenopfer gekostet haben. Analog ist die Erklärung des Europarates gegen den Kommunismus abgefasst. In Deutschland werden Themen wie Flucht und Vertreibung der Deutschen, die Schrecken des Bombenterrors gegen die Zivilbevölkerung, das Verhalten der Militärs bei der Befreiung bzw. „Eroberung“ Deutschlands in vielfältiger Form thematisiert, unter Zuhilfenahme neuer Medien, wie dem Internet und auch durch verschiedene Fernsehproduktionen.

So wird auf unterschiedliche Art und Weise eine Relativierung der Schrecken und Verbrechen der Urheber von Nazidiktatur, von Rassenverfolgung und -vernichtung, von Krieg und Zerstörung vorgenommen. Sei es, dass 1. komplexe historische Prozesse aus ihren Zusammenhängen gerissen werden oder 2.Geschichte in unzählige Geschichten von „Zeitzeugen“ aufgelöst wird, die anscheinend authentisch erzählen, wie es eigentlich gewesen ist, oder es werden 3.die Ursachen historischer Ereignisse und Prozesse ausgeblendet oder ungenügend untersucht und schließlich 4.Ereignisse, Herrschafts- und Regierungsformen, sozialökonomische sowie politische Strukturen des realen Sozialismus und des Faschismus mit dem Ziel verglichen, ihre Identität oder weitgehende Ähnlichkeit nachzuweisen
Da mein Vortragsthema mannigfaltig ist und mir lediglich 10 Minuten zur Verfügung stehen, möchte ich meine Ausführungen auf wenige Themenkreise beschränken, die natürlich auch etwas mit meiner Herkunft aus der Deutschen Demokratischen Republik zu tun haben :

Einerseits die so genannte Aufarbeitung der Geschichte der DDR und der damit verbundene Versuch, zwei Diktaturen der deutschen Geschichte unter dem Motto: „Die Roten waren ebenso schlimm wie die Braunen“ gleichzusetzen. Andererseits die Reportagen oder aber Filme wie der kürzlich im deutschen Fernsehen gezeigte Mehrteiler „Dresden“, die, mit dem Ziel, ein neues deutsches Selbstbewusstsein zu entwickeln, Taten des Hitlerregimes ebenso wie Taten der Alliierten, unter eine gemeinsame Überschrift stellen.
Fragen nach dem Verursacher für all diese Schrecken werden, wenn überhaupt, nur peripher gestellt. Die Hauptaussage soll vielmehr sein, auch wir, die deutsche Bevölkerung, haben gelitten und zwar ebenso wie ihr, die Opfer des Angriffskrieges der Nazis und der brutalen Rassenpolitik.
Nimmt man sich diesbezüglich Einzelschicksale heraus, so macht es sicher keinen Unterschied, ob der Soldat nun von Briten, Deutschen oder Sowjets eingezogen wurde und heute über seine schrecklichen Erlebnisse berichtet. Auch macht es keinen Unterschied, ob der Tod vieler unschuldiger Zivilisten nun im Fliegerbombenhagel von Guernica oder aber von Köln dargestellt wird.
Dies alles birgt jedoch die Gefahr in sich, und hier sind wir wieder beim Thema, dass man die Gesamtsicht durch die Betrachtung von Einzelschicksalen zunehmend verliert.
Nicht Churchill oder Roosevelt waren es, die über Europa und über die Welt einen Krieg brachten, der 50 Mio. Menschen das Leben kostete. Nicht äußere Kräfte wie, Briten, Amerikaner oder Russen waren es, die Hitler überhaupt erst in die Position brachten, eine Diktatur zu etablieren, um seine Weltherrschaftspläne durchzusetzen, sondern die deutsche Großindustrie.

Deshalb müssen wir anmahnen, dass mit solchen Sendungen auch, ich betone auch, Bezugspunkte für jene geschaffen werden, die an einer Leugnung der Einzigartigkeit der Verbrechen und Gräueltaten bzw. an einer Glorifizierung der faschistischen Diktatur unter den Nazis interessiert sind.

Zu hinterfragen ist die Rolle, die das Fernsehen, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Kanäle, in diesem Rahmen spielen sollen und müssen. Hier kann es nur eine Antwort geben. Das Fernsehen ist nicht dafür da, all denjenigen, die ihren Anteil an den Verbrechen hatten, die Absolution dadurch zu erteilen, dass es suggeriert, die anderen waren auch schlimm. Nein! Aufgabe muss sein, dass der heutigen Bevölkerung und besonders der jungen Generation vermittelt wird, wie es vor mehr als siebzig Jahren passieren konnte, dass einem Mann wie Hitler, der in seinem bereits Jahre vorher veröffentlichten Buch „Mein Kampf“ sein Programm zur Eroberung von Lebensraum und Weltherrschaft, von Vernichtung minderwertiger Rassen, und hier spreche ich nicht nur von den Juden oder Sinti und Roma, der Weg zur Macht bereitet wurde. Einem Diktator, der ein System von Denunziantentum und Unterdrückung in Deutschland Einzug halten ließ, der eine Diktatur aufbaute, die politische Gegner, und hier in erster Linie Kommunisten und Sozialdemokraten, und alle, die nicht der neuen größenwahnsinnigen Linie folgten, verfolgte, einsperrte, folterte und hinrichtete, um sodann und parallel dazu sein wahnsinnigstes Projekt in die Tat umzusetzen, – die Vernichtung der Juden.
Wir gedenken heute aller Opfergruppen nationalsozialistischer Diktatur:
Sinti und Roma, Christen, Homosexuelle, Kriegsgefangene, Zeugen Jehovas, geistig Behinderte oder psychisch Kranke. Die Betonung dieses Umstandes muss in den Vordergrund gestellt werden, wenn man sich mit dem Thema Hitler und zweiter Weltkrieg befasst. Dass dabei auch die Reaktionen der Alliierten, die viele Menschenleben kosteten, vermittelt werden, wird dabei nicht ausgeschlossen.
Dem Innenminister des Landes Brandenburg darf man es aber nicht durchgehen lassen, wenn er anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 61. Jahrestag der Befreiung des KZ Sachsenhausen keine strikte Trennung zwischen der Darstellung der Geschichte dieses Konzentrationslagers und den Geschehnissen nach dem Sieg über den Faschismus vornimmt. Dies ist eine nicht zu akzeptierende Bagatellisierung der Naziverbrechen.

Lassen Sie mich nun auf den zweiten Punkt kommen. Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte unter der Prämisse, sie in einen Kanon mit der NS-Diktatur zu stellen.
Da werden dann Artikel, Aufsätze und Studien geschrieben und publiziert, wie z.B.: „Zwei deutsche Diktaturen im Vergleich“.
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die so genannte Birthler-Behörde, die nunmehr seit 16 Jahren sämtliche Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR durchforstet, und immer wieder Materialien zu Verbindungen aktiver Politiker zum MfS verbreitet und neue Schreckensberichte über die DDR an die Medien liefert.

Eine sehr kritische Analyse und Reflektion des Systems der DDR und aller ehemaligen sozialistischen Staaten und seiner Entwicklung bis zum Zusammenbruch ist wichtig, insbesondere die Frage der Gewährleistung der individuellen Freiheitsrechte.
Was aber auf keinen Fall daraus resultieren kann ist, dass Zuchthäuser und Konzentrationslager auf eine Stufe mit dem Gefängnis der DDR Staatssicherheit in Berlin -Hohenschönhausen gestellt werden.

Die Birthler-Behörde arbeitet eng mit Einrichtungen wie dem Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin, dem Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden oder aber auch den Fachbereich Politikwissenschaften an der Technischen Universität Chemnitz zusammen. Diese Institutionen verfügen über ausgezeichnete Beziehungen zu den Massenmedien, insbesondere zu gewissen Fernsehprogrammen, in denen ihre „Enthüllungen“ über angebliche oder tatsächliche Machenschaften der Staatssicherheit und einzelner ihrer mehr oder weniger prominenten Mitarbeiter voller Empörung einem großen Publikum nahe gebracht werden.
Ein Vergleich des Unrechts, das es in der DDR gab, mit den Schrecken der Naziherrschaft auf eine Stufe zu stellen,ist ein Affront gegenüber 50 Mio. Todesopfern, aktiven Widerstandskämpfern und allen Überlebenden des Hitlerregimes.

Zum Glück und auch besonders durch Ihr politisches Engagement wachsen die Bäume des Geschichtsrevisionismus nicht in den Himmel.
Zeichen dafür sind unter anderem die zahlreichen Veranstaltungen zum 60.Jahrestag der Befreiung am 8.5.2005. Zahlreiche Bürgerinitiativen, Schulprojekte, Geschichtsvereine und -werkstätten sowie Stiftungen beschäftigten und beschäftigen sich sehr aktiv damit, die NS-Zeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Besucherzahlen von großen antifaschistischen Gedenkstätten, wie dem neu errichteten Denkmal für die ermordeten Juden Europas oder dem Haus der Wannseekonferenz, aber genau so des Widerstandmuseums hier in Brüssel, steigen stetig an.
Im vergangenen Jahr besuchten 350 000 Menschen die Gedenkstätte Sachsenhausen in Brandenburg. Dies waren 50 000 mehr als im Jahr davor. Nach Ravensbrück kamen 100 000.
Am 11.5. 2006 wurden in meiner Heimatstadt 9 „Stolpersteine“ gelegt, die an Opfer der Nazidiktatur in Hennigsdorf erinnern, in ganz Deutschland gibt es bereits fast 8000 derartiger Gehwegplatten.
Lassen mich noch folgendes anmerken.
Ich stehe hier vor Ihnen auch als Mitglied der linken Fraktion des Europaparlaments. Unser Anliegen war von jeher, jeglichen Formen von Neofaschismus in ganz Europa aktiven Widerstand entgegen zu setzen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Ausstellung im EP zu den Gedenkstätten der Nazidiktatur veranstaltet, zu der einige von Ihnen damals anwesend waren. Es darf nie vergessen werden, dass das gesamte Unheil von Deutschland ausging. Daher gilt es nicht nur die deutsche Bevölkerung wachzurütteln, sondern und gerade auch zu verhindern und gegenzusteuern, dass je wieder solch rassistisches Gedankengut von Herren- und Unterrasse in den heutigen Köpfen Platz einnimmt. Geschichtsrevisionismus stimuliert Demokratiefeindlichkeit, Nationalismus und Chauvinismus, da er relativiert und Verbrechen entschuldigt. Eine Exkulpation für das, was damals geschehen ist, kann und darf es nicht geben.
Ich danke Ihnen.