Freizügigkeit der Arbeitnehmer/innen

Rede während der Strasbourger Plenardebatte des Europäischen Parlaments über die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten (Öry-Bericht)

Werter Herr Präsident,
die fehlende Freizügigkeit für Arbeitnehmer/innen aus den neuen EU-Mitgliedsländern bewirkt, dass zahlreiche Menschen in Schwarzarbeit, in absolut unwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse und rechtlose Illegalität gedrängt werden.
Sie bedeutet ferner Diskriminierung, denn: Die Freizügigkeit von Personen ist eine vom Gemeinschaftsrecht garantierte Grundfreiheit. Für Arbeitnehmer/innen besteht diese Freiheit bekanntlich seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1957. Dass sie 2006 für Millionen Menschen innerhalb der Europäischen Union nicht gilt, ist nicht hinnehmbar!

Sozial engagierte Linke und so auch die GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament haben im Zuge des Erweiterungsprozesses immer wieder darauf gedrängt, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass mit dem Beitritt neuer Mitgliedsländer zur Europäischen Union die Arbeitnehmerfreizügigkeit ohne soziale Verwerfungen zur Wirkung kommen kann.
Die Menschen in den alten und in den neuen EU-Mitgliedsländern sollten von der Erweiterung gewinnen. Stattdessen ging und geht es vor allem um mehr Konkurrenzfähigkeit der EU im globalen Wettbewerb.

Während in Schweden und Finnland der Nachweis erbracht wurde, dass Freizügigkeit bestehende soziale Standards keineswegs aushebelt, verlängert die Bundesregierung Deutschland die Übergangsfristen: Ohne auch nur erkennen zu lassen, ob und wenn wie sie denn die nächste Phase zur Durchsetzung der Arbeitnehmer/innenfreizügigkeit nutzen will. Sie hat die letzten zwei Jahre schon verstreichen lassen, ohne etwas zu tun!
Im Grunde genommen stimmt meine Fraktion mit dem Berichterstatter, Herrn Öry, darin überein, dass wir eigentlich keine Übergangsfristen brauchen. Allerdings lässt der vorliegende Bericht kaum Sensibilität für eine stärkere soziale Verantwortung für den europäischen Arbeitsmarkt erkennen. Entsprechende Anträge fanden leider auch im EMPL keine Mehrheit. Das betrifft unsere Forderungen aus der letzten Legislaturperiode nach einem Förderprogramm für die Grenzregionen, aber auch die Thematisierung des Missbrauchs der Dienstleistungsfreiheit zum Sozialdumping oder auch unsere Forderungen nach EU- oder nationalstaatlichen Regelungen zu Entsendung oder Scheinselbständigkeit.

Ich plädiere dafür, dass ab sofort die Arbeitnehmerfreizügigkeit für alle in der EU Lebenden gilt und dass armutssichere Mindestlöhne und Sozialstandards eingeführt werden. Armutsbekämpfung muss zur absoluten politischen Priorität der Europäischen Union erhoben werden. Damit würde auch und insbesondere die Überwindung offizieller und inoffizieller working poor endlich zur Tagesaufgabe.