Ja zu Europa, nein zu dieser Verfassung

Erklärung zum Abstimmungsverhalten der Fraktion der GUE/NGL zum Bericht über den Vertrag über eine Verfassung für Europa
Bericht Richard Corbett und Inigo Méndez de Vigo

Wir begrüßen, dass sich das Europäische Parlament mit einer eigenen Entschließung in die gegenwärtige Debatte um einen Europäischen Verfassungsvertrag einbringt. Auch wenn jetzt bereits das Ratifizierungsverfahren in den Mitgliedstaaten begonnen hat, so ist es das gute Recht und sogar die Pflicht des Europäischen Parlaments, seine Stimme in dieser Frage zu erheben, geht es doch in der Verfassungsfrage um die Gestaltung der europäischen Integration für womöglich mehrere Jahrzehnte.

Die bisherige Debatte um den Entwurf für einen Europäischen Verfassungsvertrag hat gezeigt, dass es in den Mitgliedsländern und auch hier im Parlament neben allgemeiner Zustimmung auch eine kritische Öffentlichkeit gibt, die mit Sorge auf diesen Text blickt. Unsere Kritik ist keine Kritik, die aus der engen Sicht des Nationalstaats heraus argumentiert. Es geht vielmehr um kritische Stimmen, die die europäische Einigung mit dieser Verfassung auf dem falschen Weg sehen.

Wir kritisieren, dass Ziel des Vertrags die weitere Militarisierung der Europäischen Union hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit ist. Er soll die „auf militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen“ sichern. Aufrüstung wird Verfassungsgebot, indem „die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Eine „Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung“ wird das überwachen und „zweckdienliche Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors“ durchsetzen. Durch Aufrüstung und militärische Forschung auf höchstem Ausgabenniveau werden die öffentlichen Kassen aller Einzelstaaten weiter geschröpft.

Wir kritisieren, dass die Prinzipien des Neoliberalismus Verfassungsrang erhalten sollen. In den allgemeinen „Zielen der Union“ ist zwar beschönigend die Rede von einer „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität.“ Im konkreten Politikteil wird dann aber Klartext geredet von der Verpflichtung auf den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb.“ Damit wird die neoliberale Wirtschaftsordnung von Maastricht in einen Europäischen Verfassungsvertrag eingraviert.

Wir sind davon überzeugt, dass der europäische Einigungsprozess auf der Grundlage des vorliegenden Verfassungsvertrages nicht gelingen kann. Im Berichtsentwurf wird diese Sicht hingegen nicht geteilt. Er steht dem Verfassungsentwurf völlig unkritisch gegenüber. Die GUE/NGL kann daher diesem Bericht nicht zustimmen. Wir werden uns dafür engagieren, dass in möglichst allen Staaten, in denen die Ratifizierung noch aussteht, Referenden stattfinden. Die Europäische Verfassung wird für das Leben der Bürgerinnen und Bürger von solch großer Bedeutung sein, dass sie auch selbst darüber entscheiden sollen.

In dem zur Abstimmung stehenden Bericht wird am Ende u. a. auch gefordert, „dass alle möglichen Anstrengungen unternommen werden sollen, um die europäischen Bürger klar und objektiv über den Inhalt der Verfassung zu informieren“. Diese eine Forderung des Berichts können wir uneingeschränkt unterstützen. Eine „klare und objektive Information über den Inhalt der Verfassung“, die die Kritiker des Verfassungsentwurfs nicht zu Wort kommen lässt, ist aber aus unserer Sicht nicht vorstellbar.