Perspektiven der Handelsbeziehungen zwischen der EU und China
Rede vor dem Plenum in Strasbourg
Rede Lucas-Bericht 29.09.2005 Strasbourg
Herr Präsident! Das Thema unserer Debatte heißt „Perspektiven der Handelsbeziehungen zwischen der EU und China“, und Caroline Lucas hat zu Beginn um Unterstützung für ihren Bericht gebeten. Die wird sie von mir auch bekommen. Wenn man sich die Entwicklung anschaut, kann man feststellen, dass sowohl die Europäische Union als auch China heute gegenseitig jeweils der zweitgrößte Handelspartner sind. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Der Handelsüberschuss lag vor einigen Jahren noch auf Seiten der Europäischen Union und ist jetzt auf der chinesischen Seite. Das wird nach meiner Überzeugung auch in den nächsten Jahrzehnten so bleiben. China hat ein paar Besonderheiten: Es hat einen riesengroßen Binnenmarkt, es hat gleichzeitig eine große Kapazität für eine arbeitsintensive Produktion, die es durchaus ausschöpfen kann, weil es ein sehr geringes Lohnniveau hat. Und es hat auch Hightech-Produktion. Aus vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird die arbeitsintensive Produktion immer mehr verlagert, obwohl wir eine sehr hohe Produktivität haben, weshalb wir sie eigentlich auch in der EU behalten könnten. Gleichzeitig kann man, wenn man sich das Handelsvolumen ansieht, feststellen, dass auch die europäische Industrie unheimlich profitiert hat, weil sie nämlich nach China exportiert hat.
Wir haben heute die Lage bei Textilien besprochen. Die Europäische Union hat Milliarden mit dem Export von Textilerzeugungsmaschinen verdient. Wenn Sie sich die Exportstatistiken anschauen, dann können sie heute sehen, wie viele Stahlwerke exportiert werden, wie viel Presswerkzeuge für die Automobilindustrie exportiert werden, wie viel Aluminiumschmelzöfen, damit Fahrräder hergestellt werden können, exportiert werden. Es ist vollkommen klar, dass wir in zwei bis drei Jahren in diesen Branchen das gleiche Problem haben werden wie heute im Textilsektor.
Im Entwurf des Verfassungsvertrages stand, dass die EU dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist. Das Resultat, das wir jetzt in der Europäischen Union bei Textilien haben, ist ein Ausdruck dessen. Es ist das Ergebnis einer offenen, ungeschützten Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Deshalb haben die Franzosen den Verfassungsvertrag auch mehrheitlich abgelehnt.
Ich glaube, wir brauchen eine soziale Marktwirtschaft mit fairem Wettbewerb. Das ist etwas anderes. Wenn wir hier permanent darüber reden, dass in China zu Standards, die nicht den europäischen entsprechen, produziert wird, dann stimmt das. Es wäre aber furchtbar einfach und eine Frage des politischen Willens, im Rahmen der WTO Folgendes festzulegen: Wer die FAO-Normen nicht einhält, darf nicht exportieren, bzw. dessen Waren werden nicht importiert. Wer die ILO-Normen, die Arbeitsschutznormen nicht ordnungsgemäß einhält, dessen Waren dürfen nicht exportiert werden. Wer Chemikalien einsetzt, die weltweit oder im Großteil der Länder verboten sind, der darf nicht exportieren. Dann hätten wir auf einmal einen Wettbewerb, der nach einem höheren Niveau strebte, weil dann der Produzent gezwungen wäre, bessere Sozialstandards, bessere Umweltstandards, bessere Industriestandards einzuführen.
Ich glaube, das ist auch der richtige Weg. Wer glaubt, dass die Europäische Union auf Dauer überleben kann, indem wir immer nur pauschal sagen, wir müssen höher qualifizierte Produkte erzeugen, verkennt, dass in China jährlich entschieden mehr hoch qualifizierte Absolventen Hoch- und Fachschulen verlassen als in der gesamten Europäischen Union. Das kann auch nicht der Weg sein. Man sollte unverzüglich das machen, was wir immer sagen: Wir müssen viel mehr in Bildung investieren. Wenn Sie sich aber die Haushalte der Mitgliedstaaten anschauen, dann sehen Sie, dass das auch nicht gemacht wird.