Europas Vision und Platz in der globalisierten Welt
Rede zur Eröffnung des gleichnamigen Panels der gemeinsamen Anhörung des Binnenmarkt- und des Handelsausschusses des EP zu den „Auswirkungen der Globalisierung auf den Binnenmarkt“
Die Frage, die wir uns in meinen Augen stellen müssen, lautet: Um wessen Visionen von Europa geht es hier? Sind es die Visionen der Regierungen oder die Visionen der Bürgerinnen und Bürger? Die Frage ist berechtigt, denn häufig decken sich deren Vorstellungen nicht.
Der Entwurf des Europäischen Verfassungsvertrages beispielsweise hat hauptsächlich die Visionen der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten dokumentiert, die sich eine EU mit freier Marktwirtschaft und offenem Wettbewerb und eine zunehmende Militarisierung der EU-Außenpolitik vorstellten. Diese Vision wurde und wird jedoch von einem Großteil der Bürger nicht getragen, was dazu führte, dass ihr in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden eine Absage erteilt wurde.
Ähnlich ergeht es der Dienstleistungsrichtlinie. Während der Widerstand von Seiten der Bürgerinnen und Bürger, der Gewerkschaften und zahlreicher Organisationen, inklusive diverser Wirtschaftsverbände, weiter ansteigt, halten die Regierungen an dem Projekt fest. Die Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen führt aber weltweit zu Gegenreaktionen von Seiten der Bevölkerungen. Dennoch macht die EU nicht nur innerhalb ihrer Grenzen, sondern auch auf internationaler Ebene in den WTO-Verhandlungen Druck in Richtung Marktöffnung und Liberalisierung.
Eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie nach dem negativen Votum bei den Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden hat gezeigt, dass das Nein der Bürger vor allem sozioökonomischen Erwägungen folgte: Die EU-Politik wird als neoliberal, unsozial und schädlich für die Beschäftigung eingeschätzt. Nach eigener Aussage wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger vielmehr ein soziales Europa. Eine Politik, die schon innerhalb Europas von den Bürgern nicht angenommen wird, wird auch auf globaler Ebene zu Ablehnung und wachsenden Konflikten führen. Die EU ist also gut beraten, in ihrem internationalen Agieren über ein anderes Rollenverständnis nachzudenken.
Meine Vision für Europa wäre daher nicht, wie gegenwärtig vorherrschend, die vorrangige Marktorientierung, die alles aus dem Blick der Verwertungsbedingungen des Kapital betrachtet, sondern eine EU, die wieder den Menschen in den Mittelpunkt rückt, die sich auszeichnet durch höchste Sozialstandards, Umweltstandards und Verbraucherschutzstandards, deren Arbeitsnormen als Musterbeispiel für die ILO gelten, eine EU, die Wettbewerb zulässt, aber keinen Wettbewerb, der in Sozialdumping ausartet. Vielmehr sollte es einen Wettbewerb in Richtung der Weiterentwicklung eines friedlichen und toleranten Umgangs miteinander geben und das Verständnis, dass der Stärkere dem Schwächeren helfen muss.
Diese Vision kann man auch in einer globalisierten Welt artikulieren. Warum sollte ein gut funktionierendes europäisches Sozialmodell, sollten hohe Standards und ein auf Solidarität basierendes Gesellschaftsmodell nicht zu einem Exportschlager werden können?
Aus dieser Sicht betrachtet, muss man Globalisierung als Chance betrachten. Globalisierung ist nicht per se etwas sich Schlechtes, das nur Nachteile mit sich bringt, auch wenn sie in den Augen vieler als solches betrachtet wird. Globalisierung ist vielmehr ein Prozess, den man gestalten kann. Dies setzt aber voraus, dass man der Politik den ihr gebührenden Platz einräumt, damit sie gestaltend wirken kann und nicht alles dem Selbstlauf überlässt.
Es ist durchaus möglich, hohe Standards im internationalen Wettbewerb einzuführen, wenn der politische Wille dazu besteht. Wenn aber die geistigen Eliten heute mehrheitlich eine Zurückdrängung des staatlichen Einflusses fordern und staatliches Handeln auf eine Förderung der globalen Bewegungsfreiheit der Unternehmen reduzieren, führt diese Globalisierung nicht zu mehr Menschlichkeit, sondern zum Gegenteil.
Handel als Vertrieb von produzierten Waren und Dienstleistungen kann sehr wohl Einfluss darauf nehmen, in welcher Art und Weise produziert wird. Wenn Länder konsequent nur Waren importieren, die mit hohen Produktionsstandards erzeugt wurden, dann sorgen sie dafür, dass sich diese Standards schließlich weltweit durchsetzen. Dann werden Produkte, die durch Kinderarbeit oder den Einsatz schädlicher Chemikalien erzeugt wurden, keine Chance mehr haben, dann wird das Phänomen des Klimawandels, das auch durch zu hohe Emissionen verursacht wird, endlich berücksichtigt und führt zu einer Umstellung der Produktionsmethoden, und dann kann die Ausgrenzung und Schlechterstellung von Frauen in der Arbeitswelt beendet werden.
All dies ist in meinen Augen nur erreichbar, wenn in einer globalisierten Welt Werte wie eine hohe Bildung der Menschen und die Partizipation der Bürger an der Entscheidungsfindung in allen gesellschaftlichen Bereichen großgeschrieben werden.