Rede zum Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2005
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
selbst wenn das Thema der Aussprache „Gesetzgebung und Arbeitsprogramm der KOM für 2005“ lautet, lässt sich das natürlich nur in den gesamtstrategischen Rahmen einordnen. Und dieser Rahmen ist geprägt durch die Lissabon-Strategie und dort leider absolut vorrangig auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit orientiert, und dies in meinen Augen auch noch mit den vollkommen falschen Mitteln.
Die operationellen Gewinne der Großkonzerne der EU haben sich 2004 um 78% gesteigert. Das Verhältnis zwischen Erlös und Bruttoinlandsprodukt ist fast an den höchsten Wert der letzten 25 Jahren herangerückt. Die Handels- und Währungsbilanz sind in den letzten 12 Monaten wieder von einem starken Plus gekennzeichnet. Selbst in der Bundesrepublik Deutschland, wo die großen Unternehmen permanent weinerlich erklären, sie hätten keine Chance im Standortwettbewerb, haben 46 der 50 im DAX geführten Unternehmen in den ersten drei Quartalen 2004 Gewinnzuwächse von ungeahnter Größe eingefahren. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit, die Debatten um Verlängerung der Arbeitszeit, egal in welcher Form, nehmen zu. Von den Arbeitnehmern wird Lohnzurückhaltung gefordert, was in Wirklichkeit ein Absinken des Realeinkommens darstellt, Sozialleistungen werden gekürzt bzw. drastisch verteuert, solidarisch aufgebaute Systeme immer mehr zur Privatfinanzierung verlagert. Dieses Agieren führt nicht zur Stärkung, sondern zu einer Schwächung der Binnennachfrage.
Diese Tendenz halten wir für falsch. Wir benötigen Wettbewerb, aber im Einklang mit den Göteborg-Kriterien: um die geringste Arbeitslosigkeit, hohen Verbraucherschutz, soziale Sicherheit der Bürger in einer gesunden Umwelt, soziale Kohäsion durch Solidarität und nachhaltige Entwicklung.
Deshalb können wir die Kommission nur auffordern: Stoppen Sie Ihre neoliberale Wirtschaftspolitik, ziehen Sie die Richtlinie zu den Dienstleistungen im Binnenmarkt zurück, ebenso wie Ihre Arbeitszeitrichtlinie, und legen Sie stattdessen Richtlinien für verbesserten Arbeitsschutz oder für eine Harmonisierung von Sozialstandards vor. Schützen Sie den Klein- und Mittelstand, z.B. indem Sie die vom letzten Parlament verabschiedete Direktive zu den Softwarepatenten zur Basis für einen neuen Vorschlag nehmen. Verändern Sie gemeinsam mit dem Rat den Stabilitätspakt, indem Ausgaben für Bildung und Ausbildung als Investition angerechnet und aus der Verschuldungsquote herausgerechnet werden. Setzen Sie sich für einen demokratischen und sozial gerechten Welthandel ein, indem Sie versuchen, die WTO zu reformieren und nach Hongkong nicht mit denselben alten Vorstellungen gehen, wie dies in Cancún der Fall gewesen ist.
Setzen Sie sich gegenüber den USA nicht für eine gemeinsame Stärkung der militärischen Optionen ein, sondern für höheren Umweltschutz, wobei auch hier innerhalb der Europäischen Union durchaus noch Nachholbedarf besteht, wie z.B. auf dem Gebiet der biologischen Vielfalt, der Vermeidung und Verarbeitung von Abfall, nachhaltiger Nutzung der Ressourcen. Verstärken Sie Ihre Einflussnahme beim Klimaschutz, da sowohl die USA, als auch China und Indien hier stärker eingebunden werden müssen. Dies wäre der richtige Weg für die Europäische Union.