Sahra Wagenknecht: Rede am 04. Juli 2005 in der Debatte des Europäischen Parlaments über den Jahresbericht 2004 der Europäischen Zentralbank (Lauk-Bericht)
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen,
vor gut einem Monat haben die Menschen in Frankreich und in den Niederlanden ein überwältigendes Votum gegen den Verfassungsvertrag abgegeben. Ein Votum, das sich vor allem gegen ein Weiterso neoliberaler Politik in Europa richtete -, nicht zuletzt also auch gegen den sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Denn wozu hat dieser Pakt geführt? Preisstabilität ist nur die eine Seite, auf der anderen stehen Massenarbeitslosigkeit und eine immense Zunahme an Armut in der EU. Nicht Wachstum ist bewirkt worden, sondern unverschämter Sozialabbau, nicht Stabilität, sondern Rekordprofite der Konzerne.
Aber unbeeindruckt von den sozialen Verwerfungen und den offensichtlichen Problemen bei der Umsetzung des Paktes, wird im vorliegenden Bericht weiter sein Loblied gesungen. Schlimmer noch: ein absurder Zusammenhang zwischen europäischen Arbeitszeiten und wirtschaftlicher Krise wird konstruiert. Als ob es das Problem löste, wenn die, die noch arbeit haben, immer länger und bis zum Umfallen schuften, während immer mehr Menschen gar nicht erst die Chance erhalten, ihre Arbeitskraft überhaupt einzusetzen.
Wer europäische Politik so versteht und vertritt, muss sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Menschen davon abwenden. Das Scheitern der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden hat deutlich gezeigt, dass die Mehrheit etwas anderes will: eine neue, eine soziale Politik.