Vorbereitung der sechsten WTO-Ministerkonferenz in Hongkong

Rede vor dem Plenum in Brüssel

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,

eine „Entwicklungsrunde“ hatte die WTO mit der Doha Development Agenda angekündigt. Schaut man aber hinter die Fassade der schönen Formulierungen, entpuppt sich die aktuelle WTO-Verhandlungsrunde leider als reine Marktzugangsrunde.

Das zeigt sich vor allem an dem großen Druck, den die Industrieländer aufmachen, um eine Marktöffnung für Nichtagrarprodukte und Dienstleistungen durchzusetzen, und dies zur Bedingung für Verhandlungsfortschritte im Agrarsektor machen. Im Gegenzug bieten sie den Entwicklungsländern nur die vage und unverbindliche Ankündigung einer Streichung der Agrarexportsubventionen. Das ist unfair und erpresserisch. Die Agrarexportsubventionen müssen umgehend abgeschafft werden, und zwar ohne Gegenleistung – das hat meine Fraktion immer wieder gefordert. Was die heimischen Agrarstützungen betrifft, so muss unterschieden werden zwischen legitimen Stützungen und solchen, die nur dem exportorientierten Agrobusiness dienen. Das heisst, die gesamte GAP auf den Prüfstand zu stellen.

Von der Europäischen Kommission erwarten wir, dass sie ihrer Verantwortung als einer der Hauptakteure auf der internationalen Arena gerecht wird und ihren Einfluss nutzt, um die politischen Prioritäten neu zu definieren. Wir brauchen eine neue internationale Normenhierarchie, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Handelsbelangen auf der einen und sozialen und Menschenrechten, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards auf der anderen Seite herstellt. Stichworte wie Unternehmensverlagerungen, Dumping bei den Arbeits- und Sozialbedingungen oder die Umweltkatastrophen der letzten Monate führen uns vor Augen, wie dringend diese neue Normenhierarchie angegangen werden muss.

Die öffentliche Daseinsvorsorge muss vor weiteren Liberalisierungsschritten bewahrt werden, denn wie wir nicht nur in der EU hinreichend erfahren mussten, führt Liberalisierung in aller Regel zu Privatisierung, sinkenden Standards und steigenden Preisen. Insbesondere müssen zentrale Bereiche wie Wasserversorgung, Gesundheitswesen und Bildung von internationalen Handelsabkommen ausgeschlossen werden.

Das TRIPS-Abkommen muss dringend reformiert werden. Millionen Menschen sterben jährlich, weil TRIPS ihnen den Zugang zu notwendigen Medikamenten verwehrt und stattdessen Pharmakonzernen die Gewinne zu maximieren hilft.

Ein uns wichtiger Punkt ist die Anwendung des Vorsorgeprinzips auf die Nahrungsmittelimporte. Die WTO muss akzeptieren, wenn Länder und ihre Bevölkerungen sich gegen die Produktion und die Einfuhr von GMO oder Hormonfleisch entscheiden, und keine wie auch immer geartete Handelsregel darf sie in dieser souveränen Entscheidung behindern.

Was die Rohstoffpolitik betrifft, so ist auch hier ein Neuansatz notwendig. Anstatt bestehende Marktregulierungsmechanismen wie im Fall von Zucker oder Bananen einfach abzuschaffen und damit die Preisspirale weiter nach unten zu drehen, sollte die Kommission neue öffentliche Initiativen vorschlagen, die die Rohstoffpreise stabilisieren helfen.

Die aktuelle Strategie der Kommission, alternative Ansätze in der Handelspolitik mit dem Argument mangelnder WTO-Konformität abzutun, ist nicht ehrlich und wird auf Dauer auch nicht aufgehen. Politische Neuorientierung ist eine Frage des politischen Willens. Momentan ist die Kommission eher selbst treibende Kraft in einer aggressiven Marktöffnungpolitik, wie an den laufenden EPA-Verhandlungen, die sogar ein WTO+ darstellen, zu erkennen ist. Die Kommission sollte endlich eine Allianz mit den Entwicklungsländern eingehen und mit ihnen auf neue Lösungen in der Nord-Süd-Zusammenarbeit hinarbeiten, damit eine Entwicklungsrunde eingeläutet werden kann, die diesen Namen auch wirklich verdient.