Perspektiven für die Doha-Runde nach dem Treffen des Allgemeinen WTO-Rats am 15. Dezember 2003
Redebeitrag von Helmuth Markov am 13. Januar 2004 in Straßburg
Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,
nach dem Scheitern der WTO-Konferenz in Cancún ist auch das Treffen des WTO-Rats im Dezember in Genf ohne Ergebnis geblieben. Dies zeigt einmal mehr, dass die WTO in einer Krise steckt und die von ihr bisher praktizierte Handelspolitik nicht mehr tragfähig ist. Eine Organisation, die nur die Interessen der Industrieländer, namentlich der USA und der Europäischen Union, vertritt und diese rücksichtslos gegen die Interessen der Entwicklungsländer durchsetzen will, eine Organisation, die Politik für die großen transnationalen Konzerne auf Kosten von staatlichen Unternehmen und von KMU macht, verspielt ihre Legitimation. Davon zeugt auch der wachsende Widerstand der internationalen Sozialbewegung gegen die WTO-Handelspolitik.
Die Europäische Kommission trägt einen entscheidenden Anteil an der unsolidarischen und zerstörerischen WTO-Handelspolitik. Mit ihrem kompromisslosen Auftreten insbesondere in der Frage der Agrarsubventionen hat sie gezeigt, dass es ihr in Wirklichkeit nicht um Entwicklungspolitik und fairen Welthandel geht. Ich fordere die Kommission auf, endlich ihren Einfluss geltend zu machen und auf einen Kurswechsel in der internationalen Handelspolitik hinzuwirken.
– Es ist Zeit, der Forderung zahlreicher Entwicklungsländer nachzukommen und eine Evaluierung der bisherigen Ergebnisse der WTO-Handelspolitik vorzunehmen. Die verheerenden sozialen und ökologischen Folgen, die die Liberalisierungspolitik der letzten Jahrzehnte hervorgerufen hat, verlangen eine generelle Neuausrichtung des internationalen Handelssystems.
– Die Exportagrarsubventionen, die Millionen von Landwirten in den Ländern des Südens in den Ruin treiben, müssen endlich abgeschafft werden. Anstatt die Entwicklungsländer mit europäischen Agrarprodukten zu Dumpingpreisen zu überschütten, muss die EU diesen Ländern helfen, gesunde Binnenmärkte aufzubauen und regionale Wirtschaftskreisläufe herauszubilden.
– Die GATS-Verhandlungen, die zu einem massiven Liberalisierungsschub in bisher verschonten Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, insbesondere in den Entwicklungsländern, führen werden, müssen sofort gestoppt werden. Wir haben gerade die Debatte zum Grünbuch zur Daseinsvorsorge in der Europäischen Union geführt. Auch hier gilt: Anstatt neue Liberalisierungsrunden einzuläuten, sollte sich die Kommission besser mit der Evaluierung der bisherigen Liberalisierungspolitik in den einzelnen Sektoren der Daseinsvorsorge befassen – sowohl in den Mitglieds- und Beitrittsländern der Europäischen Union, als auch in den Entwicklungsländern. Ich sage Ihnen schon jetzt voraus, dass die Bilanz nicht positiv ausfallen wird – sowohl was Qualität und Versorgungssicherheit als auch die Preisentwicklung betrifft.
– Die so genannten Singapour-Issues gehören vom Tisch, sowohl bei den multilateralen als auch bei bilateralen Verhandlungen. Anstatt die WTO-Kompetenzen immer mehr auszuweiten und neue Verhandlungsthemen auf die Tagesordnung zu setzen, die nur die Interessen der Industrieländer bedienen, müssen zunächst die bisher ungelösten Aufgaben aus der Entwicklungsagenda behandelt werden. Dazu gehören die Fragen der Umsetzung der Entwicklungsagenda, der differenzierten Sonderbehandlung und der Beziehung von kultureller Vielfalt und geistigem Eigentum. Insbesondere müssen Querschnittsaufgaben wie nachhaltige Entwicklung und öffentliche Gesundheit wieder ins Zentrum der Arbeiten in der WTO rücken.
– Die Funktionsweise und Strukturen der WTO müssen auf den Prüfstand. Wir fordern eine Demokratisierung der WTO, Transparenz bei den Verhandlungen, eine gleichberechtigte Behandlung aller WTO-Mitgliedsstaaten und eine Revision des Streitbeilegungsverfahrens. Insbesondere fordern wir eine Anbindung der WTO an internationale Verträge der UNO und der ILO.