Mecklenburg/Vorpommern – Im Spannungsfeld der EU-Osterweiterung – Erfordernisse für PDS und Gewerkschaften, Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann (MdEP) auf der gewerkschaftspolitischen Konferenz der PDS in Güstrow, 24. April 2004
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,
In wenigen Tagen ist es so weit: Die Europäische Union wird 25 Staaten umfassen. Mit dem Beitritt der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei werden künftig 450 Millionen Menschen in der EU leben. Bulgarien und Rumänien sollen 2007 Mitglieder werden. Über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wird im Dezember 2004 entschieden.
Die Erweiterung ist zweifellos ein historischer Moment in der Geschichte der europäischen Integration und eine große historische Chance für die Sicherung von Frieden und Stabilität in Europa.
Sie ist aber zugleich eine außerordentliche politische, ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Herausforderung. Noch nie waren die Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung und das Wohlstandsgefälle zwischen EU-Mitgliedstaaten so groß. Der Problematik der Angleichung der sozialen Verhältnisse und der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit wurde bei der Vorbereitung der Erweiterung viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. So ist auch die Überwindung der politischen Teilung Europas bei vielen Menschen mit der Sorge um den Arbeitsplatz und der Angst vor weiterem Sozialabbau verbunden.
Die wohl größte Befürchtung ist, dass nach der Erweiterung am 1. Mai osteuropäische Arbeitskräfte in großer Zahl auf den heimischen Arbeitsmarkt kommen werden. Diese Sorge ist nach Ansicht der EU-Kommission und vieler Experten unbegründet. Als sicher gilt, dass es eine gewisse Arbeitsmigration aus den Beitrittsstaaten nach Westeuropa geben wird und aufgrund ihrer geographischen Nähe zu den Beitrittsländern vor allem Deutschland und Österreich betroffen sein werden. Die Zuwanderung werde für die alten Mitgliedstaaten aber auf jeden Fall zu verkraften sein, argumentiert die Kommission. Auch haben die Alt-Mitglieder die Möglichkeit, die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit bis zu sieben Jahre lang hinauszuzögern – eine aus meiner Sicht jedoch nicht unproblematische Maßnahme, da sie künftig EU-Bürgerinnen und -Bürger erster und zweiter Klasse schafft.
Einer Studie der EU-Kommission zufolge werden in den ersten fünf Jahren nach der Erweiterung insgesamt 1,1 Millionen Menschen auf der Suche nach einem Job von den neuen in die alten Mitgliedstaaten ziehen – rund ein Prozent der Erwerbsbevölkerung. Befragungen hätten zudem ergeben, dass vor allem gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an einer Tätigkeit in Westeuropa interessiert seien. Deshalb könnten eher die neuen Mitgliedstaaten ein Problem bekommen, denen unter Umständen wichtige Fachkräfte verloren gehen.
Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) würde die Zahl der Zuwanderer aus Osteuropa nach Deutschland selbst bei einer völligen Öffnung der Arbeitsmärkte höchstens bei 225 000 pro Jahr liegen. Dies sei verkraftbar und angesichts des Bevölkerungsrückgangs in unserem Land auch wünschenswert. Die Zuwanderer würden auf keinen Fall zusätzlich die Arbeitsmärkte in Ostdeutschland belasten. Im Osten gebe es kaum Jobs und damit auch keinen Anreiz, dorthin zu ziehen. Im Gegensatz dazu seien Süd- und Westdeutschland als Zielregionen interessant, weil attraktive Arbeitsplätze angeboten würden.
Die Angst vor einer massenhaften Zuwanderung von Arbeitskräften aus ärmeren Regionen Europas innerhalb der EU ist übrigens nicht neu. Nach der Süd-Erweiterung im Jahr 1986 fürchteten die reichen Länder des Nordens eine Massenmigration aus Spanien und Portugal. Tatsächlich blieb diese aus.
Wie sieht die Situation in Mecklenburg-Vorpommern aus?
Eine Umfrage, deren Ergebnisse in der gestrigen Ausgabe der „Schweriner Volkszeitung“ veröffentlicht wurden, belegt: Der EU-Osterweiterung sehen viele Menschen in Mecklenburg/Vorpommern mit zunehmender Sorge entgegen. Nur ein Viertel erwartet Vorteile, 60 Prozent dagegen befürchten Nachteile, so die EMNID-Umfrage. Vor drei Jahren noch waren es „lediglich“ 50 Prozent die Nachteile erwarteten, ein Drittel dagegen sah vor allem Vorteile. Nicht überraschend ist, dass die meisten (80%) die Sorge um ihren Arbeitsplatz umtreibt, obwohl die Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern ausgesetzt wurde. Bei einer Arbeitslosenquote von 21,4 Prozent verwundert es auch nicht, dass viele einen größeren Wettbewerbsdruck auf einheimische Firmen befürchten. Und dies, obwohl fast die Hälfte der Befragten glauben, dass durch den Export mehr Arbeitsplätze entstehen könnten. Ein Drittel der Befragten konnte sich sogar vorstellen, dass mehr Jobs in Grenznähe entstehen.
Nicht desto Trotz: Dramatischer Befund der Umfrage ist, dass die Skepsis gegenüber der Erweiterung in Mecklenburg-Vorpommern weitaus ausgeprägter ist als in der übrigen Bundesrepublik. Besonders groß ist in diesem Zusammenhang die Sorge vor einem Anstieg der Anzahl polnischer Saisonarbeiterinnen und –arbeiter. Von 2900 Saisonarbeiterinnen und -arbeitern im Jahr 1998 ist die Zahl mittlerweile auf 5300 gestiegen. Übrigens möchte ich anmerken: ohne Erweiterung. Die überwältigende Mehrheit von ihnen ist wiederum in der Landwirtschaft beschäftigt, nämlich 5216 der 5300. In den Arbeitsamtsbezirken in Grenznähe übrigens die aller wenigsten – z. B. in Stralsund 366. Fakt ist, dass in Mecklenburg-Vorpommern – ähnlich wie in der übrigen Bundesrepublik – keine oder nur wenige deutsche Arbeitskräfte zum Spargelstechen oder zur Erdbeerernte zu finden sind. Allein schon deshalb, weil von den hierfür bezahlten Löhnen hierzulande niemand leben kann, es aber für polnische Saisonkräfte sehr wohl attraktiv sein kann, für einige Wochen oder Monate so hier Geld zu verdienen. Und man muss es noch einmal betonen, dies alles findet statt, ganz ohne die EU-Erweiterung.
Die Aufgabe der PDS muss es sein, nicht nur die ungerechtfertigten Befürchtungen zu zerstreuen, die es angesichts der EU-Erweiterung gibt. Und, ich sage das hier in aller Offenheit: Befürchtungen, die m. E. von einigen bewusst geschürt werden, zum Beispiel um von eigenem Versagen hier abzulenken. Das Prinzip „Gleicher Lohn, für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, wie es die existierende Entsenderichtlinie vorschreibet, ist bis heute nicht durchgesetzt worden. Stattdessen wird fast jeden Tag von der deutschen Wirtschaft eine neue Sau durchs Dorf gejagt. Drohungen Standortverlagerungen oder Forderungen, die niedrigen Unternehmenssteuern noch weiter zu senken. Dass sich auch noch Ministerpräsidenten wie Herr Milbradt aus Sachsen hinstellen und die deutschen Arbeitsgeberverbände in ihrem Tun sogar noch ermutigen, ist doch schlichtweg unglaublich. Vielleicht sollte man daher gegenüber Unternehmen, die trotz guter Gewinne mit Standortverlagerungen drohen, klarstellen, dass sie keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen.
Gut, dass die Landesregierung ihre Hausaufgaben weitgehend gemacht hat. Seit Jahren hat man sich hier mit der EU-Osterweiterung befasst, den Kontakt mit den Beitrittsländern gesucht, insbesondere zu Polen und Maßnahmen eingeleitet, um diesen Beitritt und die Partner auf beiden Seiten optimal vorzubereiten. Beispiele gibt es hierfür viele, wie die zahlreichen parlamentarischen Kontakte, die Förderung der Grenzregion, gemeinsame deutsch-polnische Projekte und auch die deutsch-polnisch-tschechische Konferenz des Arbeitsministers Helmut Holter in Schwerin im Sommer 2003.
Es kommt für uns jetzt – und ich finde, das kann man gar nicht oft genug sagen – darauf an, die EU-Osterweiterung als Chance zu begreifen. Das heißt nicht, Probleme klein zu reden, sondern ihnen konstruktiv zu begegnen. Für die Zukunft bedeutet dies genau hinzuschauen, um bei möglichen Fehlentwicklungen korrigierend eingreifen zu können.
Man muss den Leuten reinen Wein einschenken. Wenn absehbar ist, dass Polen wahrscheinlich erst im Jahr 2035 ein Bruttoinlandsprodukt von 75% des EU-Durchschnitts erreichen wird, dann wäre es geradezu frevelhaft wieder einmal „blühende Landschaften“, „Chefsachen Ost“ oder sonstiges zu versprechen.
Völlig klar ist angesichts dieses Szenarios, dass wir eine Beibehaltung der EU-Strukturförderung in der nächsten Förderperiode von 2007-2013 in den fünf neuen Ländern brauchen. Ich begrüße, dass der Vorschlag der EU-Kommission in diese Richtung geht. Genauso brauchen wir aber eine entsprechende Förderhöhe für die Beitrittsländer, wenn wir wollen, dass hier tragfähige Perspektiven entstehen. Wer jetzt den EU-Haushalt massiv zusammenzustreichen will, wie dies die Bundesregierung fordert, stellt nicht nur die EU-Förderung für Ostdeutschland in Frage, sondern verabschiedet sich in der Tendenz vom Projekt eines solidarischen Europas.
Erinnern wir uns, wozu die europäische Struktur- und Regionalpolitik überhaupt geschaffen worden ist: Sie soll einen solidarischen Ausgleich zwischen den ärmeren und den reichen Regionen leisten. Man muss sich einmal vor Augen führen, dass die regionalen Unterschiede in der EU schon jetzt weitaus größer sind als in den USA. Diese Disparitäten werden sich nach dem Beitritt der ost- und mitteleuropäischen Staaten noch einmal verschärfen. Jetzt die Gelder für eine gewisse Ausgleichspolitik zusammenzustreichen, hieße Solidarität wirklich als Einbahnstraße anzusehen. Etwa so, wie wir das aus Bayern kennen: über Jahrzehnte Gelder aus dem Länderfinanzausgleich empfangen und jetzt, nachdem man selbst Geberland geworden ist, eine Debatte nach der anderen anzetteln, um den Länderfinanzausgleich zu kippen.
Für den gegenwärtigen Förderzeitraum von 2000 bis 2006 wurden die Programme und Mittel bereits 1999 verbindlich festgelegt. Die aktuelle Debatte über die Inhalte und die Ausstattung der Strukturpolitik betrifft daher bereits die Planung für den Zeitraum 2007 bis 2013. Zweifellos steht die EU hier vor ihrer bisher größten strukturpolitischen Herausforderung, da sich die regionalen Unterschiede dann mehr als verdoppeln werden.
Die PDS im Europaparlament hat sich dafür eingesetzt, dass die EU auf die Herausforderung der Erweiterung mit weiter entwickelten Programmen zur Abmilderung der gravierenden regionalen Entwicklungsunterschiede reagiert. Sie hat sich deshalb für die gleichberechtigte Teilnahme der beitretenden Staaten an den EU-Strukturprogrammen eingesetzt und ebenso dafür, dass Regionen, die – wie die ostdeutschen Bundesländer – auch nach der Erweiterung strukturschwach bleiben, nicht allein aufgrund des statistischen Effekts aus der Förderung herausfallen.
Gleichzeitig wollen wir ein besseres Management der EU-Strukturfonds. Es ist nicht hinzunehmen, dass einige Programme erst zwei Jahre nach Beginn des Planungszeitraumes endgültig genehmigt werden oder dass die Kofinanzierung von Projekten durch die Mitgliedstaaten nicht sichergestellt wird. Allein aus dem Zeitraum vor 2001 wurden bereits zugesagte 75 Mrd. Euro aus den Fonds für Regionalpolitik nicht abgerufen. Diese Gelder können heute nicht etwa für zusätzliche Projekte genutzt werden, sondern fließen an die Mitgliedstaaten zurück, von denen einige damit ihre nationalen Haushalte sanieren. Wir unterstützen daher den Vorschlag der Europäischen Kommission, diese Mittel dafür zu nutzen, wofür die gedacht sind und einen neuen Fonds für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit einzurichten.
Für eine effektive Verwendung der Mittel ist es notwendig, die jeweils betroffenen regionalen und kommunalen Ebenen mit weitgehenden Entscheidungskompetenzen auszustatten. So würde man dem in der Europäischen Union geltende Grundsatz der Subsidiarität gerecht. Die eingesetzten Ressourcen müssen auch zu den erzielten Ergebnissen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Dazu sind die Festlegung eindeutiger Indikatoren, die gründliche Anwendung von Kontrollmechanismen sowie neue Methoden des Austauschs vorbildlicher Verfahren zwischen den Regionen erforderlich. Wir haben vorgeschlagen, dass es den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, einen höheren Anteil an nationaler Regionalförderung einzusetzen, wenn diese Förderung etwa für berufliche Weiterbildung, zur Wiedereingliederung von Erwerbslosen oder zur Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen verwandt wird.
Allgemein lässt sich sagen, dass auf alle Fälle noch viel getan werden muss, um solidarische europäische Lösungen für die im Vorbereitungsprozess ungelösten Probleme zu finden. Die EU muss sich künftig verstärkt der Bewältigung der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Herausforderungen und der Überwindung der Entwicklungsunterschiede zwischen den Regionen zuwenden.
Weder die EU-Kommission noch die Bundesregierung hat den Problemen der Grenzregionen die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet. Nötig sind jedoch Förderprogramme, die von den spezifischen Bedürfnissen der Grenzregionen und von einem nachhaltigen Ansatz ausgehen. Besonders wichtig ist der Ausbau umweltverträglicher regionaler Verkehrsinfrastrukturen, bei denen die Schwerpunkte auf der Förderung der Eisenbahn, des öffentlichen Personennahverkehrs und der Binnenschifffahrt liegen müssen. Die Erweiterung ist zudem auch für die kleinen und mittelständischen Betriebe eine Chance, da in den Beitrittsländern ein großer wirtschaftlicher Nachholbedarf besteht und die Übernahme der EU-Standards und Normen umfangreiche Investitionen notwendig macht. Entwicklungschancen liegen nicht in der Konkurrenz, sondern in der Zusammenarbeit mit Partnern jenseits der Grenze.
Klar ist, dass für viele Einzelprobleme Lösungen gefunden werden müssen.
Zum Beispiel: Billig einkaufen, ließ sich schon die ganze Zeit in Polen. Noch billiger als in Polen war es aber auf den „Butterschiffen“ der Reedereien, die im Stettiner Haff sowie auf Oder und Elbe verkehrten. Der zollfreie Einkauf auf diesen Gewässern endet mit dem EU-Beitritt Polens und Tschechiens am 1. Mai. Die meisten Reeder haben ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gekündigt, einige Schiffe sollen weiter fahren. Die Passagiere müssen jedoch nicht nur auf ihr Schnäppchen an Bord verzichten, sondern auch erheblich mehr für die Tour bezahlen. Bislang kostete das Vergnügen selten mehr als ein paar Euro. Unklar sei auch noch, ob die Schiffe künftig in polnischen Häfen anlegen dürfen, teilte die Adler-Reederei nach einem Bericht der „Berliner Zeitung“ mit. Sie stellte daher auf Oder und Elbe die Schifffahrt ein. Auf dem Stettiner Haff und vor Usedom sollen Ausflugsfahrten getestet werden. In diesem Bereich muss also etwas passieren, damit hier nicht die Lichter ausgehen. Die PDS scheint gefragt etwas vorzulegen.
Dass sich mit der EU-Erweiterung für Bahnreisende in den Grenzregionen nach Osteuropa zahlreiche Angebote verbessern, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Schönes-Wochenende-Ticket und Länderfahrscheine gelten vom 1. Mai an auch zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Polen (Hagenow-Schwerin-Güstrow-Pasewalk-Szczecin) und zwischen Sachsen und Tschechien. Dort gilt das Schöne-Wochenende-Ticket bereits seit längerem in mehreren Schnell-, Eil- und Personenzügen der Tschechischen Bahn. Die Bahncard gilt jetzt auf den Regionallinien, die von Berlin und Potsdam aus polnische Städte ansteuern. Im Fernverkehr hingegen hat sich sowohl beim Ausbau der Strecken als auch bei der Kooperation der Eisenbahnunternehmen noch nicht viel getan. Hier muss aus Brüssel unbedingt mehr angeschoben werden.
Das betrifft auch die Frage der Grenzübergänge. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es lediglich zwei Grenzübergänge, die für den Pkw- und Lkw-Verkehr geöffnet sind: Pomellen an der Autobahn A 11 nach Stettin und Linken an der B 104. Auf Usedom gibt es bei Ahlbeck einen Grenzübergang nach Swinemünde (Swinoujscie), der nur für Pendelbusse, Fußgänger und Radfahrer offen ist. Der Übergang Rosow ist nur für den Personenverkehr geöffnet. Geplant ist, die Usedomer Bäder-Bahn bis nach Swinemünde fortzuführen. Doch fehlt der polnischen Seite noch das Geld zur Fortführung der Strecke. Geplant sind außerdem Übergänge für den „kleinen Grenzverkehr“ in Garz auf Usedom und in Hintersee. Wenn man sich vor Augen führt, dass es vor 1945 etwa die doppelte Anzahl an Straßen, Brücken und Wegen über die Oder und über die jetzige Grenze hinweg gab, dann wird klar, wie viel hier noch zu tun ist. Mir scheint, dass auch das Geplante nicht ausreichen wird.
Die Europäische Kommission geht davon aus, dass sich durch einen größeren Wirtschaftsraum, der mit der Erweiterung geschaffen wird, bedeutende ökonomische Möglichkeiten eröffnet werden. Der gemeinsame Markt lässt die Europäische Union mit ihren dann 450 Millionen Menschen zum größten Wirtschaftsraum der Welt anwachsen. Deutschland ist schon jetzt größter Handelspartner der neuen Mitglieder. Experten schätzen, dass allein die Handelsbeziehungen mit Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei in Deutschland 77 000 Arbeitsplätze sichern können. Für die Unternehmen gelten einheitliche Rechtsregeln und die Prinzipien des gemeinsamen Binnenmarktes nun auch in den neuen Ländern, gleichzeitig fallen die Warenkontrollen weg. So finden die deutschen Unternehmen zusätzliche Absatzmärkte. Als Folge der Erweiterung erwartet die EU-Kommission in den alten Mitgliedsländern ein Prozent zusätzliches Wirtschaftswachstum. Ein Markt in der Größenordnung der erweiterten EU verspricht, der Investitionstätigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen Schubkraft zu verleihen und damit den Lebendstandard in ganz Europa – in den alten wie in den neuen Mitgliedsstaaten – zu steigern. Damit dieses Versprechen Wirklichkeit wird und den Menschen auch tatsächlich zugute kommt, brauchen wir aber dringend eine soziale Dimension der Erweiterung. Die soziale und ökologische Regulierung des EU-Binnenmarktes – das ist die zentrale Aufgabe, für die wir in den nächsten Jahren kämpfen müssen. Das Soziale Europa zu schaffen – dies wird mit der EU-Erweiterung drängender denn je. Dafür sollten wir streiten, ob kommunal oder regional, ob im Nationalstaat Bundesrepublik oder auf Ebene der Europäischen Union.
Die Anforderungen an PDS und Gewerkschaften sind klar. Mit den beeindruckenden Demonstrationen am 3. April gegen Sozialabbau wurde ein Anfang gemacht. Wir müssen die Herausforderung der EU-Erweiterung annehmen, um den Kampf für ein Soziales Europa zu verstärken. Wir müssen uns dazu viel mehr als bisher EU-weit organisieren. Die Europäische Linkspartei, die am 8. und 9. Mai in Rom gegründet wird, wird deshalb dringend gebraucht und der Linken in Europa sicher neuen Schwung verleihen. Und ich denke, es ist auch für die Gewerkschaften die Herausforderung der Zeit, „Europa“ stärker als Aktionsfeld zu begreifen, um die sozialen Interessen der Menschen aus den 25 Mitgliedsländern energisch vertreten zu können.