Forderungen an die irische Ratspräsidentschaft zum Vertrag über eine Verfassung für Europa – Rede Von Dr.Sylvia-Yvonne Kaufmann auf der Plenartagung in Straßburg, 4. Mai 2004
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen
Niemand weiß genau, was zur Zeit konkret verhandelt wird und wie der Verfassungsentwurf zur Stunde genau aussieht. Gleichzeitig gibt es massive Angriffe gegen den vom Konvent vorgelegten Text. Am Ende der irischen Ratspräsidentschaft soll er endgültig verabschiedet werden.
Deshalb richte ich als ehemaliges Konventsmitglied folgenden dringenden Appell an die irische Ratspräsidentschaft und den Europäischen Rat:
1. Unter keinen Umständen darf dem erneuten Drängen der Europäischen Zentralbank nach Revision der Zielbestimmungen im Teil I nachgegeben werden. Der Konvent hat sich dafür ausgesprochen, dass die EZB künftig nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung und Preisstabilität ausgewogen fördern soll, und dabei sollte es bleiben.
2. Teil III des Verfassungsentwurfs muss – politisch und rechtlich zwingend – an die grundlegenden Bestimmungen von Teil I angepasst werden, wie das von diesem Haus mit Nachdruck eingefordert worden ist. Es geht dabei um die Absicherung der sozialen Dimension der Europäischen Union. Mit anderen Worten: „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ muss gestrichen und durch „soziale Marktwirtschaft“ ersetzt werden – ansonsten wird dem Manchester-Kapitalismus Tür und Tor geöffnet.
3. In die Präambel der Verfassung gehört kein Gottesbezug. Die in der EU lebenden Menschen dürfen nicht in „Gläubige“ und „Ungläubige“ selektiert werden. Ein Gottesbezug ist darüber hinaus weder als „Tauschobjekt“ geeignet, um etwa Polen zu bewegen, der doppelten Mehrheit im Ministerrat zuzustimmen, noch darf damit versucht werden, eine etwaige Aufnahme der Türkei in die EU auszuhebeln.
Wie Sie wissen, lehne ich alle Bestimmungen des Konventsentwurfs ab, die die EU in eine militärische Interventionsmacht verwandeln sollen. Dass bereits jetzt Rüstungsunternehmen kräftig zulegen und die EU im Jahr 2003 im Waffenhandel die USA übertraf, bestärkt mich dabei nur in meiner Auffassung.
Kolleginnen und Kollegen,
ja, wir brauchen ein Referendum über die Verfassung. Dafür habe ich mich schon im Konvent eingesetzt. Den Bürgerinnen und Bürgern gehört das letzte Wort, wenn es um ihre Zukunft geht. Ich plädiere für einen EU-weiten Volksentscheid über die Verfassung und schlage vor, dass auch das Europäische Parlament dazu aufruft. Als Termin geeignet wäre der 8. Mai 2005, der 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und Vorabend des Europatages.