André Brie, Rede auf der Antikriegskundgebung des Aktionsbündnisses „Nein zum Krieg“ und des Rostocker Friedensbündnisses am 1. März 2003 in Rostock, Uniplatz

Liebe Freundinnen und Freunde,
gestern erklärte der spanische Regierungschef Aznar, die USA und Großbritannien würden mit der Entwaffnung des Iraks die Friedenssehnsüchte der Antikriegsgegner in Europa erfüllen. Fast jeder Krieg wurde mit zynischen Lügen vorbereitet und begründet, selten gab es eine so dreiste Verlogenheit wie in diesen Tagen.

Wir hier in Rostock sagen den Herren Aznar, Bush und Blair eindeutig: Sie handeln nicht in unserem Namen. Wir wollen Ihren Krieg nicht, Herr Bush, mit welcher Begründung auch immer. Nichts kann diesen Krieg rechtfertigen. Seine Vorbereitung und Androhung – auch als angebliche ultima ratio sind Bruch des Völkerrechts, ihn zu führen wird vom ersten Schuss an ein Verbrechen sein. Zumindest für mich selbst sage ich, dass meine Friedenssehnsucht, sich gegen Saddam und Bush gleichermaßen richtet.

Ja, wir wollen die Abrüstung irakischer Massenvernichtungswaffen, wenn es sie noch geben sollte. Aber wir wollen das auf friedliche Weise. Die UN-Inspektionen sind dafür ein wirksames und ein zivilisiertes Mittel. Ihre Arbeit muss zu Ende geführt werden. Krieg dagegen ist Barbarei und dieser Krieg, Herr Präsident, wird nichts anderes als die Fortsetzung des internationalen Terrorismus mit den Mittel des kriegerischen Staatsterrorismus und der militärischen Hochtechnologie sein. Wir sehen im übrigen auch die Massenvernichtungswaffen in den USA, in Russland, in China, in Großbritannien, in Frankreich, in Israel, in Indien und Pakistan und insbesondere die aggressiven Strategien präventiver nuklearer und anderer Schläge als Bedrohung des Weltfriedens, der Demokratie, Freiheit, unserer Sicherheit und als Bruch des internationalen Rechtes an! Wir können uns sehr gut vorstellen, dass die UN-Inspektoren eine langfristige Einrichtung zur weltweiten Abrüstung werden.

Ja, wir lehnen die Diktatur Saddam Husseins ab. Aber Krieg beseitigt keine Diktaturen, sondern ist die Weiterverbreitung von Diktatur, Repression, Militarismus. Wir lehnen, anders als Sie, Herr Präsident Bush, auch die Folter-Diktatur Ihres engen Verbündeten in der Atommacht Pakistan und die Steinigung von Frauen bei Ihren Freunden in Saudi Arabien ab. Saddam Hussein ist ja kein Produkt islamischer oder arabischer Rückständigkeit. Er ist das Produkt jener angeblich modernen Politik, die im Norden dieser Erde praktiziert wird. Er ist mit den Waffen und Anlagen für die Produktion chemischer Waffen aus West und Ost, aus den USA, aus Frankreich, Großbritannien, der Bundesrepublik, aus der Sowjetunion und leider auch aus der DDR hochgerüstet worden. Er war Instrument der USA im Krieg gegen den Iran, und sein Giftgaseinsatz gegen die eigene kurdische Bevölkerung wurde von Großbritannien und den USA wohlwollend toleriert und militärisch und finanziell honoriert.

Wer Diktatoren weg haben will von dieser Erde, der muss so ziemlich genau das Gegenteil von dem tun, was die USA in der Vergangenheit und Gegenwart international praktizierten und praktizieren. Der muss den rassistischen Wirtschaftsterrorismus beenden, der im indischen Bophal 20.000 Menschenleben für die Profite eines US-Konzerns gekostet hat und der jedes Jahr viele Millionen Kinder im Süden dieser Erde tötet. Der muss selber abrüsten, Waffenexporte einstellen, auf offensive Militärkonzepte ein für alle mal verzichten. Der muss die UNO und internationale Verträge stärken, statt sie zu schleifen und für die eigene imperiale Machtpolitik zu missbrauchen. Der muss die Menschenrechte ungeteilt praktizieren und im eigenen Land und bei den eigenen Verbündeten damit beginnen. Der muss das Kyoto-Protokoll ratifizieren statt auf Kosten anderer Völker die Ressourcen des Erdballs zu verschleudern. Wer Diktaturen, Terrorismus und militärische Bedrohungen weg haben will von dieser so verletzlich gewordenen, so existenziell gefährdeten Erde , der darf vor allem keinen Krieg vorbereiten und führen!

Ich habe in den vergangenen Wochen zweimal den Irak besucht. Sicherlich weiß ich dennoch nicht viel von diesem Land. Ich habe wohl noch in keinem Land so viele schöne, offene, fröhliche Kinder gesehen. Ihre dunklen Augen und ihr Lachen kann ich nicht vergessen. Aber es war auch das Lächeln eines Jungen dabei, dem ich eine Fingerpuppe schenkte, und von dem ich wusste und sah, dass er stirbt. Es war ohnehin das Lachen von Kindern, von denen jedes 14mal im Jahr Diarrhöe hat, von denen jedes siebente das fünfte Lebensjahr nicht erreicht. Ich habe kein Recht, zu endgültigen Einschätzungen über den Irak, aber ich habe zum einen ein Recht und eine Pflicht zu sagen, dass die zwölfjährigen Sanktionen gegen den Irak bereits jetzt ein entsetzlicher alltäglicher Krieg des angeblich so zivilisierten Westens gegen die irakischen Kinder sind. Ich fordere die Bundesregierung auf, nicht nur den Krieg der USA abzulehnen, sondern auch den Sanktionskrieg, an dem sie selbst beteiligt ist und gegen den sie sich bisher nicht geäußert hat. Zum anderen habe eindringlich sehen und erfahren können, dass der drohende Krieg wiederum vor allem die Kinder und andere Unschuldige treffen wird. Ich kann keinen anderen Gedanken mehr gelten lassen, als dass dieser Krieg nicht stattfinden darf und durch nichts, durch nichts gerechtfertigt ist.

Liebe Freundinnen und Freunde,
dieser Krieg wird nicht für die Entwaffnung eines Diktators geführt, schon gar nicht für Demokratie und Freiheit. Es ist offensichtlich, dass es erstens um die Kontrolle des Erdöls und des Erdölpreises geht. Zweitens sollen Völkerrecht und UNO als letzte Hindernisse für die lex americana weggebombt werden. Drittens, und das haben Powell und Bush in den vergangenen zwei Wochen offen erklärt, soll die ganze Großregion im US-amerikanischen Interesse neugestaltet werden. Russland wird gekauft und gleichzeitig aus Zentralasien und dem Südkaukasus herausgedrängt. Es wird nicht mehr und nicht weniger als die von Bush-Vater vor zwölf Jahren verkündete neue Weltordnung herbeigeschossen. Aber es wird nicht das amerikanische Jahrhundert werden. Die USA können wohl jeden Krieg gewinnen, Frieden und Sicherheit gewinnen sie nicht. So nicht!

Wenn wir hier und an Tausenden anderen Orten der Erde Nein sagen, dann sagen wir eben auch nicht Ja zu einem Antiamerikanismus. Wir verteidigen Zukunft von Sicherheit und Zivilisation, wir verteidigen im übrigen die große Rechts- und Menschenrechtstradition der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und Verfassung gegen ihre Zerstörung durch die aktuelle Politik der US-Administration. Die Achse des Antiamerikanismus sind Bush, Rumsfeld, Blair!

Liebe Freundinnen und Freunde,
dass die militärisch so ungeheuer überlegenen USA diesen Krieg noch nicht beginnen konnten, ist ein großer Erfolg der Kriegsgegnerinnen und –gegner, auch der Kriegsablehnung durch zahlreiche Regierungen, darunter der Bundesregierung. Dass die Aussichten, diesen Krieg zu verhindern, allerdings immer noch gering sind, dass die USA sich wahrscheinlich über Recht, Moral und den Widerstand von Millionen und Abermillionen Menschen hinwegsetzen werden, hat auch damit zu tun, dass in den Kriegen von 1999 und 2001 das Völkerrecht und die UNO unter Beteiligung heutiger Kriegskritiker bereits gefährlich geschwächt wurden. Deshalb haben wir meiner Meinung nach gemeinsam die Pflicht, unser heutiges Nein noch lauter zu machen und gleichzeitig dazu beizutragen, dass das politische und das geistige Klima auf dem Globus grundlegend und endlich geändert wird – gegen jeden Krieg, gegen alle Massenvernichtungswaffen, und gegen die unverantwortliche und ekelhafte Propagierung von Kriegen für angeblich so hehre Ziele.