Zur anstehenden Regierungskonferenz zum Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents

Bericht über den Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa und die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Einberufung der Regierungskonferenz (Bericht Gil Robles/Tsatsos A5-0299/2003)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Konvent hat trotz höchst kontroverser Positionen einen in sich relativ konsistenten Verfassungstext vorgelegt. Als Konventsmitglied habe ich dieses Arbeitsergebnis in Abwägung seines Gesamtinhalts mitgetragen, ohne – wie die anderen Konventsmitglieder auch – allen Aussagen zustimmen zu können. Erstmals in der Geschichte der europäischen Integration wird eine Verfassung entstehen, die das Zusammenleben von vielen Millionen Menschen und über 25 Staaten konstituiert. Das ist das eigentlich Bedeutsame.

Positiv bewerte ich, dass die Union insgesamt demokratischer wird, die Gewaltenteilung voran kommt, das EP mehr Rechte erhält und Bürgerbegehren eingeführt werden. Die Union kann auch sozialer werden, was mir sehr wichtig ist – vorausgesetzt, es bleibt bei den in Teil I formulierten Zielen und Werten. Das heißt: Die Regierungskonferenz muss das Drängen der EZB nach Revision der Zielbestimmungen zurückweisen, damit der im Konventsentwurf verankerte soziale Auftrag gewahrt bleibt!

Die Regierungskonferenz muss aber vor allem die Arbeit zu Ende führen, die der Konvent am Schluss nicht mehr leisten konnte. Es ist politisch und rechtlich zwingend, Teil III zu überarbeiten und an die grundlegenden Bestimmungen von Teil I anzupassen. Wie sollen denn Bür–gerinnen und Bürger verstehen, wenn sie in einem Verfassungstext mit zwei unterschiedlichen Wirtschaftsphilosophien konfrontiert werden: auf der einen Seite „soziale Marktwirtschaft“, „ausgewogenes Wirtschaftswachstum“ und „Vollbeschäftigung“ und auf der anderen Seite „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb und lediglich „ein hohes Maß an Beschäftigung“. Dies betrifft auch noch diverse andere Fragen. Deshalb ist es wichtig, dass das Parlament heute der Regierungskonferenz einen klaren Auftrag erteilt und verlangt, diese Widersprüche im Text zu beseitigen.

Ich will hier auch unmissverständlich sagen: Alle Bestimmungen, die aus der EU eine militärische Interventionsmacht werden lassen, lehne ich ab. Das ist nicht der Weg, Europa von amerikanischer Übermacht zu emanzipieren. Nur durch zivile Konfliktverhütung und -lösung wird die EU ein international geachteter Partner. Auch ist es nicht hinnehmbar, dass die Mitgliedstaaten per Verfassung gezwungen werden sollen, ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern, während gleichzeitig für Sozialausgaben, Renten oder Bildung kein Geld mehr da sein soll und die Neuverschuldung schwindelnde Höhen erreicht.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

Idee und Geist des Konvents sollten auch die Regierungskonferenz bestimmen. Ich bin deshalb dafür, dass die Regierungskonferenz öffentlich und transparent verhandeln muss. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht drauf, auch die nun beginnende zweite Phase des Verfassungsprozesses genau verfolgen zu können. Und: Es sollten in allen Mitgliedstaaten Referenden zur Verfassung stattfinden, denn die Bürgerinnen und Bürger müssen das letzte Wort haben, wenn es um ihre Zukunft geht.

Straßburg, 24. September 2003