Die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der EU zum Irak entspricht nicht dem Mehrheitswillen der Völker Europas
Auf der heutigen Sitzung der Fraktionsvorsitzenden des Europäischen Parlaments mit dem griechischen Ratspräsidenten Kostas Simitis zu den Ergebnissen des EU-Sondergipfels zur Erörterung der Irak-Krise erklärte die PDS-Europaabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der GUE/NGL-Fraktion im EP, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann:
Auf der heutigen Sitzung der Fraktionsvorsitzenden des Europäischen Parlaments mit dem griechischen Ratspräsidenten Kostas Simitis zu den Ergebnissen des EU-Sondergipfels zur Erörterung der Irak-Krise erklärte die PDS-Europaabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der GUE/NGL-Fraktion im EP, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann:
Herr Ratspräsident,
Ihre Initiative zur Einberufung dieses Sondergipfels war richtig, weil es stimmt, was in der heute Nacht verabschiedeten Erklärung festgestellt wird: „Die Art und Weise, wie die Situation im Irak geregelt wird, wird bedeutsame Auswirkungen auf die Welt in den nächsten Jahrzehnten haben.“
Die Erklärung der EU-Staats- und Regierungschefs zum Irak spricht sich für eine zuvörderst friedliche Lösung der Krise aus. Den Waffeninspekteuren soll noch Zeit für ihre Arbeit gegeben werden, und sie sollen dabei über die Mittel verfügen, die sie nach Auffassung des UN-Sicherheitsrates benötigen. Ferner wird zum Ausdruck gebracht, dass die Verantwortung für Krieg oder Frieden beim UN-Sicherheitsrat verbleiben sollte. Das ist gut so.
Zugleich aber heißt es: „Krieg ist nicht unvermeidlich“, Gewalt kann eingesetzt werden – „als letztes Mittel“. Dazu sage ich Ihnen in aller Klarheit: Diese Aussage steht im eklatanten Gegensatz zum Mehrheitswillen der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union und weltweit.
Damit ist die Erklärung alles in allem ein fauler Kompromiss. Er soll vor allem den Staats- und Regierungschefs Deutschlands und Frankreichs auf der einen und Großbritanniens, Spaniens und Italiens auf der anderen Seite das Gesicht wahren lassen. Zuvor hatte bereits die NATO ohne französische Beteiligung mit einem ähnlichen Spagat militärische Planungen für die Türkei im Falle eines Krieges gegen den Irak ermöglicht. Bundeskanzler Gerhard Schröder gestand ein, Deutschland habe sich „bewegen“ müssen – wie ich meine, in die falsche Richtung.
Herr Ratspräsident,
die Erklärung von heute Nacht vermag nicht zu übertünchen, dass Europa in der existentiellen Frage von Krieg oder Frieden gespalten ist – und zwar so tief, wie noch nie in der Geschichte der EU. Doch dieser Riss geht nicht quer durch die Europäische Union. Es ist vielmehr ein Riss zwischen Regierungen und der Bevölkerung.
Millionen Bürgerinnen und Bürger haben am vergangenen Wochenende demonstriert, was sie wollen. Sie haben sich in großer Einmütigkeit auf Europas Straßen und Plätzen für eine gemeinsame europäische Außenpolitik ausgesprochen, und zwar: für eine friedensbewahrende Außenpolitik. Die Botschaft dieses Wochenendes ist eindeutig: Europas Menschen wollen keinen Krieg.
Als unmittelbar vom Volk gewählte Abgeordneten stehen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in der Pflicht, uns nicht in faulen Kompromissen zu üben. Wir haben vielmehr dem Mehrheitswillen der Völker Europas Rechnung zu tragen.
Herr Ratspräsident,
gegenwärtig ist der Konvent dabei, die europäische Verfassung zu erarbeiten. Diese Verfassung muss – auch unter Berücksichtigung des eingangs zitierten Satzes der Abschlusserklärung des Gipfels – eindeutig klarstellen, dass sich die EU im 21. Jahrhundert bei der Bestimmung ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik keine Tür offen lässt: Die EU muss sich in ihrer Verfassung dazu verpflichten, Krieg als Mittel der Politik zu ächten.