Gründliche Überarbeitungen sind noch nötig: Anmerkungen zum Verfassungsentwurf des Präsidiums
Rede auf der Plenartagung des Konvents, Brüssel, 31. Mai 2003
Herr Präsident,
sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,
Der Teil III bedarf noch einer gründlichen Überarbeitung. So ist z. B. die Vertragssprache einfach scheußlich – von Einfachheit und besserer Verständlichkeit keine Spur. Inhaltlich muss darauf geachtet werden, dass es eine klare Kohärenz zwischen Teil I und Teil III gibt. Dies betrifft z. B. begriffliche Übereinstimmungen, wie die Aufnahme von „sozialer Marktwirtschaft“ an allen Stellen in Teil III, wo noch von „offener Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ die Rede ist.
Zur Gleichstellung der Geschlechter: Hier gibt es zwar positive Veränderungen in Teil I. Aber ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Frauen vom Konvent erwarten, dass der Begriff „Gleichheit“ in Artikel I-2 in den ersten Satzteil aufgenommen wird.
Herr Präsident, Ausdruck eines modernen politischen Gleichstellungsansatzes ist auch die Sprache! Wir haben jetzt die Charta als Teil II. Nun, Herr Präsident, die Charta ist ein sehr modernes Dokument, sie ist – und das habe ich damals gemeinsam mit allen Kolleginnen des ersten Konvents durchgesetzt – durchgängig in einer geschlechtsneutralen Sprache verfasst. Hier brauchen wir jetzt selbstverständlich eine Übereinstimmung in allen Teilen der Verfassung. Dazu liegt auch ein Antrag von mir vor.
Nötig ist generell mehr Mut des Konvents im Zusammenhang mit den Regelungen zur Nichtdiskriminierung. Inhaltlich stellt der Entwurf der Union völlig zu Recht das Ziel, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern, und er verpflichtet die Union, bei allen ihren Tätigkeiten hierauf hinzuwirken. Bei der Zuweisung einer Kompetenz zur Förderung der Gleichstellung hat das Präsidium jedoch jeder Ehrgeiz verlassen. Artikel III-5 beschränkt sich, wie schon der jetzige Artikel 13 EG-Vertrag, darauf, der Union den Erlass von Gesetzen zur Bekämpfung der Diskriminierung zu erlauben. Gesetze jedoch, die aktive Maßnahmen zur Förderung der Gleichheit aller Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Rasse, ihrer Herkunft etc. ermöglichen, sollen aber weiterhin nicht erlaubt sein. Ich meine, hier sollte die Kompetenznorm mit den hohen Zielstellungen des Artikels I-3 in Übereinstimmung gebracht werden. Ich kann nicht erkennen, warum diese Gesetze nicht im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden sollen. Ich frage mich, wer hier eigentlich vor zu viel Gleichheit Angst hat.
Weitere Punkte möchte ich dringlich ansprechen: Der Ausschluss der Zuständigkeit des EuGH für den Bereich der GASP und den Bereich Justiz und Inneres ist für mich nicht akzeptabel. Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gebietet einen lückenlosen Individualrechtsschutz in allen Bereichen der Union. Bleiben die Artikel III-278 und III-279 so wie sie sind, darf m. E. mein Land dieser Verfassung schon von Verfassung wegen nicht zustimmen.
Gemeinsame Handelspolitik: Bei Handelsabkommen über kulturelle und audiovisuelle Dienstleistungen und bei Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit bin ich nicht damit einverstanden, dass hier die Einstimmigkeit aufgegeben werden soll. Hier muss die Regelung des Nizza-Vertrages (Artikel 133 Absatz 6) erhalten bleiben. Da kann ich Kollegen Haenel und anderen nur zustimmen.
Was den Euratom-Vertrag angeht, so unterstütze ich die Vorschläge von Kollegen Fayot oder Kollegen Einem. Die vorgeschlagene Protokolllösung des Präsidiums ist einfach nicht akzeptabel.