Bericht des Europäischen Parlaments (Kauppi-Bericht, A5 – 0220/2002) über den Jahres-bericht 2001 der Europäischen Zentralbank (C5-0196/2002 – 2002/2092 (COS)) Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann, Straßburg 2. Juli 2002

Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts dringend geboten

Im Bericht der EZB wird kritisch vermerkt, dass es den meisten Euro-Ländern in 2001 nicht ge-lang, ihre Haushaltsziele zu erreichen. Deutschland,
Frankreich, Italien und Portugal verzeich-neten abermals relativ hohe Defizite. Es wird davor gewarnt, dass die Defizitquoten weiter an-steigen können.
Mit anderen Worten: Die Haushaltskonsolidierung, das neben der Erhaltung der Preisstabilität zweite Primärziel europäischer Wirtschaftspolitik, ist höchst
gefährdet. Es wird also weder genügend Stabilität erreicht, noch wird Raum für politische Gestaltung geschaffen, was nicht minder wichtig ist. Leider
wird diese Frage im Parlamentsbericht nicht hinreichend genug thematisiert.

Auf der Hand liegt: Der höchst umstrittene Stabilitäts- und Wachtumspakt erfüllt die an ihn ge-knüpften Erwartungen nicht. Er steckt in einer schweren
Krise, weil er wegen seiner willkürlich festgelegten 3-Prozent-Marke zu inflexibel ist. In Zeiten von Stagnation und Rezession erwei-sen sich seine
Fesseln als Gift für wirtschaftliche Belebung. Nicht von ungefähr forderten be-reits die Finanzminister der Euro-Zone die EU-Kommission auf, bei der
Bewertung der Haus-haltslage der Mitgliedstaaten zyklische Schwankungen stärker zu berücksichtigen.

Ich plädiere deshalb nachdrücklich für die Reform des Stabilitätspaktes und seine Ergänzung um einen Beschäftigungspakt, der eine umfassende
Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten erfordert. Er ist in der Tat, wie aus dem nun konservativ regierten Frankreich zu hören war,
„nicht in Marmor gemeiselt“. Ziel muss sein, rasch Spielräume für eine antizyklische Wirtschaftspolitik zu schaffen. Natürlich darf Schuldenbegrenzung
nicht aus dem Auge verloren werden. Auch darf nicht sein, dass sich Länder auf Kosten anderer bereichern, indem ihre Schulden ausufern, ohne dass
sie mit höheren Zinsen bestraft werden. Aber: Stabilitätspolitik darf sich andererseits auch nicht auf den Geldwert beschränken. Vor allem darf sie nicht
das soziale Gleichgewicht der Gesellschaft beschädigen.