Zum Bericht von Rat und Kommission zur EU-Erweiterung
Redebeitrag von Hans Modrow auf dem Plenum in Strasbourg am 13. März 2002
Herr Präsident!
die Union hat in ihrer 50-jährigen Geschichte schon mehrere Erweiterungsprozesse durchgemacht. Doch noch nie hat es eine solche
Ungleichheit gegeben wie in der gegenwärtigen Runde. Eigentlich vollzieht sich die Aufnahme neuer Mitglieder nicht auf der
konsequenten Grundlage der Gleichheit und Solidarität. Die Debatte um die Tschechische Republik erscheint mir unerträglich. Wer die
sogenannten Benes-Dekrete prüfen will und Eigentumsfragen stellt, darf den völkerrechtlichen Charakter des Zwei-plus-Vier-Prozesses
bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht unbeachtet lassen. Wer Russland, wo auch immer, auf seiner Seite haben
möchte, sollte bei Kaliningrad keine falschen Schritte tun.
Der Beitrittsprozess wird aus Brüsseler Sicht mehr als eine Einbahnstraße angesehen; Kollege Schulz hat dazu gesprochen. Während
von den Bewerbern die bedingungslose Übernahme von Pflichten und Vorleistungen verlangt wird, soll der Beitritt den jetzigen
Mitgliedern möglchist wenig kosten. Die Öffnung der Märkte ist für Konzerne, Banken und Versicherungen schon heute ein gutes
Geschäft. Nachweislich fiel die Förderung beim Beitritt anderer Staaten, auch Spaniens, deutlich besser aus. Die mittelosteuropäischen
Kandidaten haben im Durchschnitt nicht einmal die Hälfte des Bruttoinlandprodukts der EU erreicht, die drei baltischen Staaten nur ein
Drittel. Teilweise liegt das Prdoduktionsniveau in den Staaten noch unter dem Stand von 1990. Das heißt, die Vorleistungen haben nicht
wie erhofft gegriffen.
Erforderlich ist eine Neugestaltung der Struktur- und Kohäsionspolitik, die sicher stellt, dass die weniger entwickelten Regionen sowohl
in den gegenwärtigen als auch den künftigen Mitgliedsländern angemessene Unterstützung im Allgemeinen und in den Grenzregionen
im Besonderen erhalten. Wir brauchen also Konzepte, welche die Bürgerinnen und Bürgern in den Beitrittsstaaten wirklich davon
überzeugen, dass der Schritt in die Union für sie richtig und nützlich ist.