Bericht über Rechtsakte und Normenhierarchie (Bourlange-Bericht; A5-0425/2002)

Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann, Straßburg 16. Dezember 2002

Meine Damen und Herren,
dieser Bericht soll als Positionsbestimmung des Europäischen
Parlaments zur Arbeit des Europäischen Konvents beitragen, der sich
ja bereits sehr intensiv mit der Vereinfachung der europäischen
Rechtssetzung befasst, insbesondere in der Arbeitsgruppe 9. Das
Thema ist zweifellos dringlich, denn schließlich soll Europa für die
Bürgerinnen und Bürger verständlicher werden.

Ich bin mir sicher, dass der Konvent im Zuge seiner Diskussionen um
die konkrete inhaltliche Ausgestaltung des Verfassungsvertrages der
Frage der Typologie der Rechtsakte und der Hierarchie der Normen
große Aufmerksamkeit widmen wird.

Zum vorliegenden Bericht möchte ich mich auf drei kritische
Anmerkungen beschränken.

1. Der Bericht beschreibt eine fünfstufige Normenhierarchie in der
Europäischen Union:
– die Verfassung,
– die Organgesetze,
– die völkerrechtlichen Vereinbarungen der Europäischen Union,
– die Gesetze und Rahmengesetze sowie
– die Durchführungsverordnungen.

Dass diese fünfstufige Hierarchie unter Punkt 1 als dreistufige
Kategorisierung dargestellt wird, ist eher verwirrend und nicht gerade
vereinfachend. Aber das verzeihen uns Bürgerinnen und Bürger
vielleicht.

2. Sehr viel weniger verzeihen werden sie uns, wenn wir ihnen
offensichtlich gleich noch eine eigene Steuerkompetenz der
Europäischen Union präsentieren, ohne dies auch nur zu benennen.
Unter Punkt 6 wird der Beschluß über die Eigenmittel als Beispiel für
Organgesetze genannt, das dazugehörige Rechtsetzungsverfahren für
Organgesetze wird unter Punkt 9 dargestellt. Demnach ist für den
Eigenmittelbeschluß keine Ratifikation mehr durch die nationalen
Parlamente vorgesehen.

Nun, meine Damen und Herren,
über die Einführung einer Steuerkompetenz der EU kann man trefflich
streiten. Sie aber unter der Überschrift „Typologie der Rechtsakte und
Hierarchie der Rechtsnormen“ einfach mal so mitzubeschließen, das
geht nun beim besten Willen nicht.

3. Hächstfraglich ist m. E., wenn wir unter der „harmlosen“
Berichtsüberschrift Vorschläge unterbreiten, die das Wesen der
Europäischen Union als Staatenverbund grundlegend ändern. Unter
Punkt 5 wird das bisherige Prinzip aufgegeben, dass die
Mitgliedstaaten Herren der Verträge sind. Denn: Zukünftigen
Kompetenzübertragungen sollen nicht mehr alle Mitgliedstaaten
zustimmen müssen, hier soll nur noch eine qualifizierte Mehrheit von
Mitgliedstaaten ausreichend sein. Das ist dem Wesen nach die
Kompetenz-Kompetenz der europäischen Ebene. Ich frage mich
ernsthaft, ob das tatsächlich gewollt ist. Ich will deshalb ausdrücklich
darauf hinweisen, dass Deutschland nach seinem Verfassungsrecht
einem solchen Vertrag nicht zustimmen darf.