Finanzkonglomerate dürfen sich der Kontrolle nicht entziehen: Für eine Allfinanzaufsicht über die Kapitalmärkte

Rede von Helmuth Markov zum Lipietz-Bericht vor dem Plenum am 18. November 2002 in Strasbourg

Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,

weltweit gibt es einen Trend zu Finanzkonglomeraten, zu denen sich Banken, Versicherungen und Wertpapierhäuser
zusammenschließen. In Europa gibt es, je nachdem wo man den Schwellenwert ansetzt, nach einer Studie der Europäischen
Kommission zwischen 40 und 117 Finanzkonglomerate. Auch in Deutschland sind einige sehr maßgebliche Unternehmen an
Finanzkonglomeraten beteiligt.

Dieser Trend wird sich fortsetzen. Diese sektorübergreifenden Zusammenschlüsse können zu ganz neuen Risikokonstellationen
führen. Ihnen muß man mit einer integralen und proaktiven Aufsicht begegnen.

Das gegenwärtige System mit mehr als 30 Aufsichtsgremien und zahlreichen nationalen Sondervorschriften ist zu zersplittert, um mit
einer Krise, wie z.B. Enron, fertig zu werden.

Die neue zusätzliche Aufsicht der Finanzkonglomerate soll gewährleisten, dass die angemessene Eigenkapitalausstattung von
Banken, Versicherungen und Wertpapierfirmen nicht durch branchenübergreifende Tätigkeit gefährdet wird. Außerdem soll die
Eigenkapital-Mehrfachbelegung innerhalb von Finanzkonglomeraten verhindert werden.

Einige europäische Länder (Großbritannien, Schweden) haben bereits gute Erfahrungen mit einer Allfinanzaufsicht gemacht. Die
Allfinanzaufsicht erlaubt es, gleiche Risiken gleich zu behandeln. Das ist ein Fortschritt hin zu mehr Wettbewerbsneutralität auf den
Finanzmärkten. Weiterhin gewährleistet eine solche Aufsicht auch mehr Schutz für Verbraucher und Arbeitnehmer vor
Zusammenbrüchen solcher Konglomerate.

Die Finanzmärkte sind weltweit enger zusammengerückt. Dies wurde deutlich, als über die Finanzmärkte der Konjunkturabschwung
aus Amerika schneller und kräftiger nach Europa transportiert wurde, als es selbst Experten erwartet hatten. Für Finanzmarktkrisen gilt
wie für Konjunkturabschwünge: Keine ist heute nur noch ein regionales Problem.

Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die Verwirklichung eines wesentlichen Ziels der Beaufsichtigung von Finanzkonglomeraten,
nämlich die Stabilität der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte zu vergrößern, indem mögliche Zusammenbrüche von
Finanzkonglomeraten abgewendet werden, nicht allein erreicht werden kann durch eine Regelung, die auf das Gebiet der Europäischen
Union beschränkt ist.

Weiterhin wird die Richtlinie in den Mitgliedstaaten zu Diskussionen über die „richtige“ Umsetzung führen, weil sie vielfach keine
konkreten Regelungen vorsieht, sondern den nationalen Aufsichtsbehörden weitgehende Ermessensspielräume einräumt. Bei einer
Richtlinie, die primär international tätige Konglomerate erfassen will, ist es ausgesprochen schädlich, wenn die Umsetzung in
nationales Recht von Staat zu Staat abweicht. Die damit verbundene nationale aufsichtsrechtliche Be- oder Entlastung der
Finanzkonglomerate ist in hohem Maße wettbewerbsrelevant.
Letztlich möchte ich noch meine Besorgnis darüber äußern, dass der Ausschuss der Aufsichtsbehörden mit der Regelung der
Detailfragen im Ergebnis doch entscheidend den Inhalt des Aufsichtsrechts prägt, und damit der Wille des Parlaments an Bedeutung
verliert.