Außerordentliche Aussprache hat die Vielschichtigkeit der Probleme im Prozess der Erweiterung der EU sichtbarer gemacht

Hans Modrow

Redebeitrag von Hans Modrow in der Debatte zum Brok-Bericht zur EU-Erweiterung in Strasbourg am 19. November 2002

Herr Präsident!

Die außerordentliche Aussprache hat die Vielschichtigkeit der Sichtweisen und Probleme im Prozess der Erweiterung der Europäischen Union und ihrer künftigen Gestaltung noch sichtbarer gemacht. Manches wird so gesehen, wie es der Fortschrittsbericht zeigt, aber vieles wird kritischer betrachtet, als das im Bericht geschieht. Es gab auch manche Töne, die nicht unkritisch zu betrachten sind. Auch wer Jalta und Potsdam einfach und pauschal in Frage stellt, sollte wissen, was er tut, wenn es um die Grenzen Europas geht. Es ist vielleicht kein Beinbruch, wenn es jetzt eine Aussage zum Verschieben des Termins des Beitritts gibt. Aber wenige Wochen danach finden die Wahlen zum Europaparlament statt, und das bedeutet, dass die Ergebnisse des Konvents für die Zukunft Europas allein von den derzeitigen 15 Mitgliedsländern beschlossen werden.

Die Terminverschiebung hat vor allem inhaltliche Gründe. Die noch zu lösenden Probleme sind kniffliger als angenommen. So erwarten Polen und andere Staaten, dass die Agrarförderung neu überdacht und die Gleichstellung nicht erst 2013 erreicht wird. Befürchtungen, dass eine Union der ersten und der zweiten Klasse entstehen könnte, sind nicht überwunden. Das ist die natürliche Reaktion darauf, dass von den Kandidaten größtes Entegegenkommen gefordert wird, während die notwendigen Übergangsfristen kaum ausgehandelt wurden.

Kommissar Verheugen hat verständliche Komplexe, wenn er den Parlamentariern 6000 Seiten an Text zur Bestätigung des Beitritts zumutet. Wir sollten uns aber vielmehr fragen, was wir den Bürgern der künftigen Union zumuten, wenn es um diese Zahl geht. Die Parlamente, die nationalen wie unseres, sind gefordert, den Finger in die Wunden zu legen und ein solches Herangehen zu fordern, das Stabilität und Gleichheit sichert und verhindert, dass wir uns schließlich in ausweglosen Kreisen wiederfinden.