Bericht über die Wirkung der Grundrechtecharta der Europäischen Union und ihren künftigen Status (Duff-Bericht; A5 – 0332/2002)

Dieser Bericht betrifft eines der wichtigsten Probleme, die der Europäische Verfassungskonvent zu lösen hat – die Integration der Grundrechtecharta in den künftigen europäischen Verfassungsvertrag und die Gewährleistung eines lückenlosen Grundrechtsschutzes in der Europäischen Union. Das Europäische Parlament hat in dieser Frage schon lange eine Motor-Funktion in der Union und mit diesem Bericht, der direkt an den Europäischen Konvent gerichtet ist, wird das Parlament seiner politischen Rolle erneut gerecht.

Gleichwohl, oder besser: gerade deshalb möchte ich drei Fragen ansprechen, die sich auch in meinen Änderungsanträgen wiederspiegeln.

1. Viele Menschen erwarten zu Recht, dass sich der Konvent für die Aufnahme der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag entscheidet. Deshalb muss sichergestellt werden, dass sie nicht nur Leitprinzipien für die Organe der Europäischen Union darstellt, sondern dass daraus verbindliche Rechte erwachsen, die von der Europäischen Union zu wahren sind und die nötigenfalls auch von jeder Bürgerin und jedem Bürger vor den Gerichten eingeklagt werden können. Dies wird im Bericht richtigerweise als Forderung formuliert (z. B. Punkt 1).
Wenn aber unter Punkt 2 des Berichts ausgeführt wird, die Grundrechtecharta lediglich in Form einer Präambel in das Europäische Verfassungsrecht aufzunehmen, so konterkariert sich das Parlament m. E. selbst. Eine Präambel könnte vielleicht quasi das Aushängeschild des zukünftigen Verfassungsvertrages werden. Aber eine Präambel stellt juristisch keine unmittelbar rechtserhebliche Norm dar. Ich denke, niemand, absolut niemand, würde eine solche Positionierung des EP verstehen.

2. Das Parlament erhebt zu Recht die Forderung nach einem Beitritt der Europäischen Union zur EMRK. Für diese Position zeichnet sich bereits jetzt eine klare Mehrheit im Konvent ab. Wenn das Parlament weiterhin seiner Motor-Funktion gerecht werden will, dann muss es aus meiner Sicht aber auch die damit verbundene Problemlage klar benennen.
Es genügt eben nicht, in Erwägung Z nur darauf zu verweisen, daß das Verhältnis des EuGH zum EGMR das gleiche sei wie das der nationalen Verfassungsgerichte zum EGMR. Diese Aussage verschleiert ein Problem, denn die Frage nach dem Verhältnis der nationalen Verfassungsgerichte zum EGMR wird in den 15 Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich beantwortet. M.E. wird der Verfassungsvertrag eine eigene Antwort auf diese Frage geben müssen.

3. Der Individualrechtsschutz in der Europäischen Union gemäß Art. 230 Abs. 4 EGV, insbesondere der Grundrechtsschutz gegenüber Verordnungen, weist erhebliche Konstruktionsmängel auf. Dies wird bereits seit langem von vielen Juristen beklagt. Darauf ist im Konvent bereits sowohl von Seiten der Regierungsvertreter (Österreich; Farnleitner) als auch von Seiten der nationalen Parlamente (Deutscher Bundestag; Meyer) hingewiesen worden. Hinzu kommt, dass der Europäische Gerichtshof selbst eine entsprechende Vertragsänderung nahegelegt hat.
In der Arbeitsgruppe II des Konvents hat sich aber offensichtlich eine Mehrheit darauf geeinigt, den jetztigen Zustand – aus rein rechtstechnischen Gründen – unverändert bestehen zu lassen. Wenn sich diese Position im Konvent durchsetzt, dann fürchte ich, wird der Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger auf dem Altar rechtstechnischer Fantasielosigkeit geopfert. Dagegen sollten wir ein klares Zeichen setzen. Zumindest aber sollte die Erwägung V deshalb um den von mir vorgeschlagenen Hinweis ergänzt werden.