Zu den Beziehungen zwischen der EU und China

Hans Modrow

Redebeitrag von Hans Modrow im Plenum in Strassburg am 10. April 2002

(Anrede)

Bei der Bewertung der Beziehungen der Union zur Volksrepublik China stehen noch immer die wirtschaftlichen Interessen im
Vordergrund.

Das ist gewiss verständlich, verspricht doch ein Markt mit etwa 1,3 Milliarden Menschen schier unerschöpfliche Gewinne für Konzerne
und Banken, die darauf agieren. Mit dem Beitritt Chinas zur WTO werden sich die Verwertungsbedingungen für das Kapital noch
verbessern. Verstärken wird sich damit auch die Konkurrenz zwischen pazifischen Wirtschaftsmächten wie Japan und Taiwan sowie
den USA und der EU und ihren Mitgliedsstaaten. Alle möchten von dem großen Kuchen ein möglichst großes Stück abhaben. Begleitet
wird das von permanenten Vorhaltungen von politischer Seite, China möge die Menschenrechte mehr achten. Dabei wird übersehen
oder unterschätzt, dass China bestrebt ist, die seit Jahren laufenden Wirtschaftsreformen durch föderale demokratische Strukturen,
soziale Sicherungssysteme und ökonomische Steuerungsmechanismen zu ergänzen.

Mit dem Beitritt zur WTO ist China dabei, diesen Prozess fortzusetzen. Niemand sollte sich jedoch der Illusion hingeben, das gerade die
Trennung von Staat und Wirtschaft die ungeheuren sozialen Probleme Chinas lösen wird. Der viel gepriesene Markt des globalisierten
Kapitalismus ist, ob es gefällt oder nicht, amoralisch und nicht geeignet, die Grundwerte wie soziale Gerechtigkeit und Solidarität zu
verwirklichen. Es ist und bleibt der Staat, der hier gefordert ist! Es gibt keine zweite Regierung in der Welt, die die Verantwortung für 1,3
Milliarden Menschen trägt. Um sich die Dimensionen vorzustellen, mit denen wir es zu tun haben: Die 60 Millionen Euro, die zur
Unterstützung des Reform- und Liberalsierungsprozesses eingesetzt werden, bedeuten 2,20 Euro pro Kopf der Bevölkerung!

Mit China einen vielseitigen Dialog anzustreben, ist gut und richtig – aber dabei sollte niemand auf Druck setzen und nur die eigenen
Interessen im Auge haben. Ein Dialog ist nur sinnvoll und zielführend, wenn im gegenseitigen Interesse ein Konsens gesucht wird. Das
gilt auch hinsichtlich der Todesstrafe. Die Forderungen nach ihrer Abschaffung sind berechtigt, aber sie sollten nicht weniger
konsequent gegenüber den USA erhoben werden.

Mehr als je zuvor sind die Beziehungen zu China von politisch-strategischer Bedeutung. Wer in die Zukunft blickt, darf die Augen nicht
davor verschließen, dass die USA als einzige Weltmacht bestrebt sind, vor der Haustür Chinas die geostrategische Lage verändern zu
wollen und dies mit versteckten Drohungen des Einsatzes neuer taktischer Atomwaffen verbinden.

Eine solche eindimensionale Entwicklung wird nicht ohne Antwort bleiben. Instabilität wäre die Folge. Die EU ist herausgefordert, sich
auch und gerade im Prozess ihrer Erweiterung einseitigen Machtbestrebungen entgegen zu stellen und Stabilität auch durch
ausgewogene Beziehungen zu China zu bewahren beziehungsweise wieder herzustellen.