Grundzüge der Wirtschaftspolitik

Rede von Helmuth Markov zum Trentin-Bericht am 14. Mai 2002 in Straßburg

Herr Präsident! Wir haben in der Europäischen Union einen Binnenmarkt, wir haben in zwölf Mitgliedstaaten eine einheitliche Währung,
aber wir haben keine vergemeinschaftete europäische Wirtschafts- und Steuerpolitik und auch keine Beschäftigungspolitik. Hier liegt
auch das Grunddilemma!

Über die Grundzüge kann man durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Man kann darüber diskutieren, wenn wir auf Wachstum
setzen, ob die Voraussetzung für das Wachstum nicht eine hohe Beschäftigung ist, weil dies die Kaufkraft und damit die
Binnennachfrage stärkt. Man kann darüber diskutieren, ob man die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik etwas zurückfahren will im
Verhältnis zur nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Wenn wir aber keine vergemeinschafteten Politiken auf die Reihe kriegen,
werden wir das Problem nicht lösen!

Wir haben einen Standortwettbewerb der Mitgliedstaaten untereinander. Das heißt, dass zumindest in den Grundzügen der
Wirtschaftspolitik auch ein paar gemeinsame Rahmenbedingungen festgelegt werden müssen. Wie hoch können oder sollten die
Investitionsausgaben in den Haushalten sein? Ist es wirklich notwendig – wie es in dem Text steht -, vorrangig auf die
Ausgabenreduzierung zu setzen, oder kann man nicht über Steuergerechtigkeit auch die Einnahmeseite verändern? Warum gibt es
keine Gleichberechtigung zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften im Steuerrecht? Warum zahlt nicht jedes
Unternehmen oder jede Privatperson, die Gewinne erwirtschaftet, dafür auch Steuern? Das sind doch Rahmenbedingungen, die man
setzen kann, damit in den Ländern auch Wettbewerbsgleichheit herrscht.

Die Frage, die wir uns stellen müssen – Herr Karas hat das meiner Meinung nach unzulässig formuliert -, besteht nicht darin, dass die
Linken Sozialpolitik versus Wirtschaftspolitik betreiben wollen oder Beschäftigungspolitik versus Stabilitätspolitik. Eine gute
Beschäftigungspolitik, eine geringe Arbeitslosigkeit ist überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass tatsächlich Wachstum erfolgt! Nur
wenn die Produkte, die produziert werden, auch absetzbar sind, haben wir Wachstum. Das heißt, sie sind miteinander gekoppelt.
Deswegen müssen wir uns Gedanken machen, wie Wirtschafts- und Sozialpolitik entschieden besser miteinander gestaltet werden
können, anstatt sie gegeneinander zu stellen.