Bericht über die allgemeine Überarbeitung der Geschäftsordnung (Corbett-Bericht)

Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann, Straßburg 10. Juni 2002

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

bevor ich auf einige Vorschläge zur Änderung unserer Geschäftsordnung eingehe, die in meiner Fraktion nicht geteilt werden, ist es mir
aufrichtig ein Bedürfnis, dem Berichterstatter, Kollegen Corbett, für seine immense Arbeit zu danken. Über ein Jahr diskutieren wir nun
schon darüber, wie unsere eigene Arbeit hier im Parlament – gerade auch mit Blick auf die bevorstehende Erweiterung – effizienter und
auch lebendiger gestaltet werden kann. Und da ist es schon bewundernswert, mit welchem Engagement sich Richard Corbett im
Ausschuss und gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses für entsprechende Veränderungen eingesetzt hat.

Im Bericht wird vorgeschlagen, Artikel 50 der GO zu ändern. Die Dringlichkeitsdebatten sollen abgeschafft und durch neue Regeln
ersetzt werden, u.a. durch die Einführung einer außerordentlichen Debatte zu hochaktuellen, besonderen politischen Ereignissen. Über
eine solche außerordentliche Debatte soll zu Beginn jeder Sitzung, am Montag Nachmittag, entschieden werden. Obwohl einiges
durchaus für diesen Vorschlag spricht, meine Fraktion möchte, dass wir bei der jetzigen Regelung bleiben. Warum? Das
Hauptargument gegen diese Neuerung ist, dass die außerordentliche Debatte folgenlos bleiben soll. Der Verzicht auf eine Abstimmung
im Plenum zu dem betreffenden Thema ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel, vor allem auch deshalb, weil wir uns bisher in unseren
Dringlichkeitsdebatten insbesondere zu Menschrechtsrechtsverletzungen mit Resolutionen positionieren, die für viele Betroffene in den
jeweiligen Ländern eine wichtige Ermutigung und Unterstützung in ihrem Kampf für Demokratie und Menschenrechte sind. Nein, meine
Fraktion möchte nicht, dass wir dieses wichtige politische Instrument aus der Hand geben.

Geschäftsordnungsfragen sind nicht nur verbindliche Regeln der gemeinsamen Arbeit, sondern immer auch Machtfragen. Und von
daher ist es nur allzu verständlich, dass kleine Fraktionen jeden Paragraphen genauestens unter die Lupe nehmen. Die
Geschäftsordnung muss eine Gleichbehandlung der Fraktionen sichern und darf die parlamentarischen Möglichkeiten kleiner
Fraktionen nicht einschränken. Ausgehend von diesen Prämissen möchte ich im Namen meiner Fraktion den im Bericht enthaltenen
Vorschlag in bezug auf Artikel 110 der GO ablehnen, der vorsieht, dass künftig nicht mehr einzelne Fraktionen, sondern nur zwei
Fraktionen zusammen oder 32 Abgeordnete Änderungsanträge ins Plenum einbringen können.

Dieser Vorschlag hat zwei Haken. Zum einen ist nicht einzusehen, weshalb hier 32 Abgeordnete mehr Rechte als eine politische
Fraktion haben sollen. Und zum anderen sehen wir es als das legitime parlamentarische Recht einer Fraktion an, Änderungsanträge
zur Abstimmung im Plenum einzureichen. Änderungsanträge bringen selbstverständlich den politischen Willen und die politische
Position der Fraktion zum Ausdruck, und das soll auch künftig so bleiben. Das Argument, Anträge einzelner Fraktionen hätten nach
erfolgter Abstimmung im Ausschuss so und so keine Chance, Mehrheiten zu finden, ist nun wirklich nicht stichhaltig.

Abschließend liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich hatte im Ausschuss beantragt, die Geschäftsordnung in einer geschlechtsneutralen
Sprache abzufassen. Dazu wurde mir mitgeteilt, dies sei bereits bei der letzten Änderung der Geschäftsordnung beschlossen worden,
allerdings aus unerfindlichen Gründen dann doch nicht erfolgt. Kollege Corbett hat mir – auch mit Blick auf einen entsprechenden Antrag
des Frauenausschusses – zugesichert, dass die Änderung der Sprache diesmal definitiv vorgenommen wird, und ich setze darauf,
dass die Dienste dies bei der Neuabfassung der Geschäftsordnung berücksichtigen.