Plenartagung des Konvents
Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann, Brüssel 6. Juni 2002
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
So wie bisher kann es mit der EU-Innen- und Justizpolitik nicht weitergehen: Die gesamte Konstruktion der Dritten Säule muss fallen.
Was ist denn das Kennzeichen der Dritten Säule? Eine nahezu groteske Undurchsichtigkeit der Entscheidungen: Wer, wie und warum
Entscheidungen auf diesem so wichtigen Politikfeld fällt, bleibt total im Dunkeln. Eine demokratische Kontrolle ist praktisch unmöglich.
Dem Europäischen Parlament wurde das „Recht“ – wenn dieser Begriff überhaupt zutreffend ist – auf Stellungnahme zugebilligt. Ich
frage Sie: Was hat das mit einem demokratischen Verfahren zu tun? Drückt sich darin das Wesen der europäischen parlamentarischen
Demokratie aus, dass das Parlament Stellungnahmen abgeben kann, um die sich dann keiner mehr schert?
Auch das Kriterium der Rechtsstaatlichkeit wird in der Dritten Säule verfehlt. Wo ist die europäische Gewaltenteilung? An welchen
Gerichtshof kann sich die Bürgerin bzw. der Bürger wenden, wenn seine bzw. ihre Grundrechte durch exekutive Maßnahmen in diesem
Bereich verletzt werden?
Ich kann und will mir z. B. für die Zukunft keine europäische Polizei vorstellen, die nicht demokratisch kontrolliert ist. Europol ist dafür ein
schlimmes Beispiel. Doch was passiert? Anstatt über demokratische Kontrolle nachzudenken und die demokratischen Defizite zu
beheben, wird nur an der Übertragung von immer mehr Befugnissen und mehr Macht an diese Institution gearbeitet. Eine europäische
Polizei – die über volle polizeiliche Befugnisse verfügen soll, die eigenständig ermittelt und Straftaten verfolgt – und deren Ermittler
womöglich noch über Immunität verfügen, wäre ein Rückfall ins 19. Jahrhundert.
Deshalb denke ich, wir müssen mutig sein und die undemokratische und intransparente Situation überwinden. Deshalb lassen Sie
uns einen Sprung tun! Das heißt: Integration der Dritten Säule in die Erste Säule, demokratische Kontrolle von Europol durch das
Europäische Parlament, voller Rechtsschutz durch den EuGH gegenüber der europäischen Exekutive für die Bürgerinnen und Bürger.
Das heißt auch Überführung in die Mehrheitsentscheidung des Rates und Mitentscheidung des Europäischen Parlaments.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zum Themenkreis Asyl-, Flüchtlingspolitik und Migration. Es ist nicht akzeptabel, wenn
hier nur von „Arbeitskräften“ die Rede ist. Es kommen Menschen, Menschen mit ihren Familien, zu uns nach Europa. Und diese
Menschen haben Grund- und Menschenrechte, die geachtet und garantiert werden müssen. Die Politik darf daher z. B. auch nicht die
Genfer Flüchtlingskonvention in Frage stellen. Diese Konvention verkörpert gemeinsame Werte und ist anerkanntes gemeinsames
Recht, ihre Bestimmungen sind also einzuhalten.