Bericht über das Weißbuch der Kommission ‚Europäisches Regieren'(Kaufmann-Bericht)

Rede der Berichterstatterin Sylvia-Yvonne Kaufmann zur Begründung ihres Berichts, Brüssel, 28.11.01

Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident,

Es gibt zweifellos enge und zum Teil untrennbare Zusammenhänge zwischen dem Themenkomplex über die Zukunft der Europäischen Union und der Governance-Reform, die Gegenstand meines Berichts ist.

Meine Damen und Herren,

in meinem Bericht wird nicht gerade mit Kritik gespart. Es wird sehr deutlich Position bezogen zu zahlreichen Themen, die die Kommission in ihrem Weißbuch angesprochen hat. Und: um ein zurzeit geflügeltes Wort aus Deutschland zu benutzen – das ist auch gut so.

Gerade deshalb ist es mir ein wichtiges Anliegen, Ihnen, Herr Kommissionspräsident, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Weißbuch auf den Weg gebracht haben, für diese Initiative zu danken. Vor allem die im Weißbuch zum Ausdruck gebrachte Bereitschaft der Kommission, alle Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen, wie die Union ihre Befugnisse ausübt (also all dessen, was mit dem Begriff „governance“ gefaßt wird) vorbehaltlos und auch selbstkritisch überprüfen und verändern zu wollen, verdient allen Respekt. Es geht schließlich um nicht mehr und weniger, als die bestehende Kluft zwischen der Union und ihren Bürgerinnen und Bürgern abzubauen. Hier gibt es in der Tat dringenden Handlungsbedarf. Das Anliegen des Weißbuches teilen wir uneingeschränkt. Hier hat die Kommission mit dem Parlament einen engen Mitstreiter.

Wir sind bekanntlich erst am Beginn der Debatte zur Governance-Reform. Viele Vorschläge der Kommission bedürfen eingehender Beratung. So manche Initiative wird im Weißbuch angekündigt – hierzu werden wir uns äußern, wenn sie konkret auf dem Tisch liegt. Bei einigen Vorschlägen gehe ich davon aus, dass sie schon bald und nicht erst Ende nächsten Jahres realisiert werden sollten. Als Stichwort sei auf die schon im Weißbuch zur Reform der Kommission von Kommissar Kinnock angekündigte Auflistung der an Konsultationsverfahren beteiligten Ausschüsse und Arbeitsgruppen verwiesen oder auch darauf, dass es im Sinne von mehr Transparenz unserer Ansicht nach problemlos machbar wäre, künftig jedem Legislativvorschlag ein Verzeichnis all derjenigen Expertinnen und Experten, Verbände und Organisationen beizufügen, die bei seiner Ausarbeitung konsultiert wurden.

Ja, das Parlament unterstützt die im Weißbuch geforderte Verbesserung von Partizipation und Konsultation. Wir wollen ein interinstitutionelles Abkommen über demokratische Konsultation. Daher habe ich heute mit Freude vernommen, dass Kommissionspräsident Prodi die Einrichtung einer interinstitutionellen Arbeitsgruppe unterstützt. Wir wollen, dass diese Arbeitsgruppe möglichst bald ihre Arbeit in Angriff nehmen kann.

Herr Kommissionspräsident, Herr Ratspräsident,

in meinem Bericht wird sehr dezidiert und ausführlich Stellung bezogen zur Frage der Verbesserung der Rechtssetzung. Und das ist nicht von ungefähr so, geht es doch ganz elementar um die Rolle des Parlaments, um seine Rolle als Mitgesetzgeber.

Das Parlament hat wieder und wieder betont, dass es auf die Gemeinschaftsmethode setzt, dass es die Aufrechterhaltung des institutionellen Gleichgewichts als adäquatesten Weg im Hinblick auf Fortschritte bei der Integration ansieht. Wir verteidigen hier nicht irgendeinen Begriff, sondern seinen Inhalt, seine politische Substanz.

Und deshalb muss ich hier auch in aller Klarheit sagen: es hat – gelinde gesagt – höchste Beunruhigung im Parlament ausgelöst, dass sich Rat und Kommission seit längerem mit der Erarbeitung eines „Aktionsplanes für bessere Rechtsetzung“ befassen, Arbeitsgruppen dazu insgeheim schon Papiere fertigstellten, mit der Absicht, dieses Aktionsprogramm in Laeken zu behandeln. Und das – ohne das Parlament als Mitgesetzgeber in die Arbeiten einzubeziehen, ja es noch nicht einmal davon in Kenntnis zu setzen. Wir sehen darin – wie es im Punkt 30 der Entschließung heißt – einen gravierenden Bruch der Gemeinschaftsmethode.

Wir verlangen, dass der „Aktionsplan für bessere Rechtssetzung“ nicht Gegenstand von Beratungen in Laeken ist.

Es geht, um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, nicht um die Frage, dass dieses Haus etwa nicht bereit wäre, sich an Überlegungen zu beteiligen, wie Rechtsetzung vereinfacht und verbessert werden könnte. Und wenn Präsident Prodi hier heute erklärt hat, dass die Kommission jetzt ein „konsultatives“ Dokument vorlegen will, um darüber mit diesem Haus einen Dialog zu beginnen, dann sind wir dazu bereit. Worauf wir aber größten Wert legen, das sage ich auch mit aller Klarheit, ist, dass es das Parlament nicht hinnehmen kann, wenn seine Gesetzgebungsbefugnisse, die ihm als einzigem direkt durch die Bürgerinnen und Bürger gewählten Organ zustehen, sowie seine Beteiligung am Legislativprozess beschnitten würden.

Insbesondere die Frage der Koregulierung und die Verwendung sogenannter Rahmenrichtlinien sehen wir sehr kritisch. Es muss angemessene Mechanismen der demokratischen Kontrolle geben, sie sind für uns unverzichtbar. Insbesondere wollen wir für das Parlament einen befristeten Rückrufmechanismus. Dazu gibt es offenbar divergierende Positionen zwischen dem Parlament und der Kommission, aber darüber wäre dann in der genannten Arbeitsgruppe zu reden. Leider hat sich die Ratspräsident bislang nicht zu diesem Vorschlag geäußert, auch nicht zur Frage des Aktionsprogramms für bessere Rechtsetzung. Ich würde mich freuen, wenn die Ratspräsidentschaft dazu dem Plenum ihre Meinung mitteilen würde.