Zum Bericht über die Zukunft der Renten
Erklärung zum Stimmverhalten – Im Namen der GUE/NGL-Fraktion erklärte André Brie zum Bericht über die Zukunft der Renten in der heutigen Plenarsitzung des Europäischen Parlaments:
Kein Grund, den angestrebten Strategiewechsel mitzumachen.
Wir nehmen die aktuellen und absehbaren Probleme in der Rentenpolitik und die gesellschaftlichen Wandlungen ernst. In der Mitteilung der Kommission und im Bericht des Kollegen Cercas gibt es zweifelsohne eine Reihe wichtiger positiver Momente. Das betrifft aus meiner Sicht insbesondere die Forderungen nach einer sozialen Sicherung von Frauen. Doch hinsichtlich des Grundproblems der Verteidigung und Erneuerung solidarischer Sicherungssysteme zeigt sich ein grundlegender Dissenz zu den Positionen unserer Fraktion.
Deshalb können wir dem Bericht nicht zustimmen.
Die allgemeine Betonung einer solidarischen Orientierung wird durch die konkreten Vorschläge eindeutig widerlegt. Die Mehrheit des Europäischen Parlaments trägt die Abkehr von einer solidarischen gesetzlichen Rentenversicherung und den Übergang zu einem Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge voll mit. Der Bericht entwickelt keine grundlegenden Alternativen zum unsozialen Rahmen der „Rentenreform“, den die EU-Gipfelbeschlüsse von Lissabon und Stockholm vorgezeichnet haben. Ich halte es insbesondere für tragisch, dass die europäische Sozialdemokratie mit der Teilprivatisierung der solidarischen Rentenversicherung einen drastischen Bruch mit ihrer gesamten historischen Tradition einleitet. Mehr als hundert Jahre hat die Sozialdemokratie für das Projekt eines umverteilenden und solidarischen Sozialstaats gekämpft – jetzt steht sie in vorderer Front, um ihn zu demontieren.
Die dabei hervorgehobenen demografischen Argumente einer Überalterung der europäischen Gesellschaften sind nicht überzeugend. Die beispielsweise im Rentensystem der Schweiz praktizierte Heranziehung aller Einkommensarten für die Finanzierung der Rentensysteme wird nicht einmal auf ihre Chancen geprüft.
„Arbeite länger, spare mehr, lebe bescheidener“ ist das Leitmotiv der „Rentenreform“, die Kommission und die Mehrheit der Regierungen der Mitgliedstaaten anstreben. Sowohl die Kommission als auch die hochrangige Arbeitsgruppe zum Sozialschutz fordern neue Regelungen, um das aktuelle Renteneintrittsalter hinauszuschieben. Die gesetzliche Rentenversicherung soll künftig nicht mehr den erreichten Lebensstandard auch im Alter sichern, sondern nur noch eine „Basisversorgung“ ermöglichen.
Die Erhaltung solidarischer Rentensysteme ist auch unter den heutigen und künftigen Bedingungen möglich, wenn der Maßstab von Politik soziale Gerechtigkeit und nicht das einseitige Interesse von Banken, Anlagefonds und Versicherungen ist. Wir sehen daher keinen Grund, den angestrebten Strategiewechsel mitzumachen.
Strasbourg, 16. Mai 2001