‚Markt kann die Wirtschaft, aber nicht die Gesellschaft regulieren‘

Redebeitrag Helmuth Markovs zur Erklärung des Rates und der Kommission zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, gehalten am 3.10.2001 in Strassburg

Stabilität und Wachstum sind Ziele gesellschaftlicher Tätigkeit, die alle, unabhängig welcher Partei oder Fraktion wir angehören, in diesem Parlament wollen.

Jedoch schon bei der Definition der Begriffe und erst recht bei den Wegen, wie wir dieses erreichen wollen, unterscheiden wir uns erheblich.

Eine rein fiskalische Interpretation führt nicht dazu, die gegenwärtigen Probleme, welche sich in sinkendem Wirtschaftswachstum und konstant hoher Arbeitslosigkeit dokumentieren, zu lösen. Markwirtschaft als ökonomische Kategorie – ja, Marktwirtschaft als sozialpolitische Kategorie – nein, oder anders formuliert: Der Markt kann die Wirtschaft, aber nicht die Gesellschaft regulieren. Wir setzen den Schwerpunkt nicht auf eine angebots- sondern auf eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik. Wir glauben nicht daran, dass die Liberalisierung die Lösung des Übels bringt. Wir brauchen nicht nur betriebswirtschaftlichen Wettbewerb, sondern eine Kopplung mit volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen um höchste soziale Sicherheit, Nachhaltigkeit sowie Gerechtigkeit.

Haushaltssanierung ja – aber nicht um jeden Preis. Ich plädiere, entgegen der Ratspräsidentin, für eine antizyklische Wirtschaftspolitik. Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für Erweiterungsinvestitionen, Ausbildung und Bildung sind auch in Rezessionszeiten unabdingbar. Wir haben die Eurozone, aber keine europäische Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik. Das kann nicht funktionieren.

Es geht nicht, wie es Auftrag der Europäischen Zentralbank ist, um ausschließliche Preisstabilität, sondern es muss um sozioökonomische Stabilität gehen. Eine Flexibilisierung der existenten Konvergenzkriterien löst das Problem nicht. Wir brauchen eine Neufassung unter Berücksichtigung weiterer Parameter wie Erwerbsquote, Wertschöpfungsquote, Investitionsquote, weil diese Daten Wirtschaftskraft und Wirtschaftsentwicklung umfassender darstellen. Börsennotierungen widerspiegeln nicht die reale Situation der Unternehmen, sondern sind russisch Roulette global agierender Spekulanten. Wer kontinuierliche Wirtschafts- und Sozialprosperität will, muss dem gegensteuern. Ich halte die Einführung einer Steuer auf Spekulationsgewinne für angemessen.