Für die Vereinfachung der europäischen Verträge

Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann am 24. Oktober in Strassburg

Der Bericht von Herrn Duhamel, der heute hier zur Debatte steht, ist ein sehr wichtiger. Schließlich geht es um die alles entscheidende Frage, wie der europäische Einigungsprozeß weiter ausgestaltet werden soll, es geht um die Zukunft der Europäischen Union.

Bekanntermaßen gibt es dazu höchst unterschiedliche Auffassungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten, bei den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften. Auch in meiner Fraktion vertreten Kolleginnen und Kollegen hierzu unterschiedliche Meinungen. Diese Meinungsvielfalt halte ich für unverzichtbar und sehe sie als Bereicherung, denn wenn wir unser gemeinsames europäisches Haus aufbauen wollen, müssen wir stets darauf bedacht sein, daß alle hierin gern wohnen und es auch als ihr Haus annehmen.

Wie weit die Union davon entfernt ist, haben uns die letzten Europawahlen gezeigt. Geringe Wahlbeteiligung, Vorurteile, berechtigter Frust über Mangel an Demokratie und Transparenz, über zuviel Regelungswut, Bürokratie und undurchsichtige Entscheidungsprozesse. An all dem hat sich bislang nichts geändert.

Einschneidene Veränderungen sind aber höchst dringlich, und unser Parlament als einzige demokratisch legitimierte Institution der Union hat hier eine große Verantwortung, voran zu gehen. Gerade deshalb begrüße ich den vorliegenden Bericht des Kollegen Duhamel. Eine Vereinfachung und Neuorganisation der Verträge ist dringend erforderlich. Wir brauchen einen lesbaren, vor allem für die Bürgerinnen und Bürger verständlichen Text der Verträge, und wir brauchen die Einleitung eines Verfassungsprozesses. Den Startschuß dafür muß der Gipfel in Nizza geben, und zwar mit Erteilung eines entsprechenden Mandats, eines Verfahrens und eines Zeitplans.

Allerdings – in einer Frage bin ich mehr als skeptisch: Ich halte es erstens nicht für realistisch, daß die im Bericht geforderte Verfassung schon vor den nächsten Wahlen 2004 beschlossen werden kann – und das sollte sie auch nicht. Und zweitens kann es nicht sein, daß nur die Fünfzehn über eine Verfassung diskutieren und entscheiden, wo wir doch alle wissen, daß wir zum Ende dieses Jahrzehnts ein Europa der 27 haben werden.

Für mich sind drei Dinge unverzichtbar: Erstens eine wirklich breite öffentliche Debatte in allen Mitgliedstaaten, und zweitens die direkte und volle Einbeziehung der Beitrittskandidatenländer. Und drittens kann eine Verfassung nach meiner festen Überzeugung nur durch ein unionsweites Referendum demokratisch legitimiert werden. Denn: Faktisch geht es um eine Neugründung der Union durch die Bürgerinnen und Bürger selbst. Anders ist ein Europa der Bürgerinnen und Bürger nicht zu gestalten.