Zum Europäischen Gipfel in Nizza vom 7. bis 9. Dezember 2000
Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann am 29. November 2000 in Brüssel
Bislang haben sich die Regierungen der 15 nicht mit Ruhm bekleckert. Der Euro dümpelt in Schwäche vor sich hin, die BSE-Gefahr wird im Kompetenzgerangel hin- und hergeschoben. Die Union steht vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte, aber statt die drängenden Probleme energisch anzupacken, verstricken sich die Regierungen hinter verschlossenen Türen bis heute im kleinlichen Gezerre um die „left overs“ von Amsterdam.
In Nizza schlägt die Stunde der Wahrheit. Der Gipfel wird nur dann ein Erfolg sein, wenn er eine wirklich umfassende Reform der Institutionen beschließt und wenn von ihm das klare Signal ausgeht: diese Union ist erweiterungsfähig.
Dazu gehört:
– eine effiziente und gestärkte Kommission, die ihre Aufgabe als Motor der Integration ausüben kann,
– ein zwischen großen und kleinen Staaten ausgewogenes Stimmenverhältnis im Rat und
– Mehrheitsentscheidungen im Rat müssen zur Regel werden,
solch zentrale Politikbereiche wie Steuerpolitik, Sozialpolitik oder Innen- und Justizpolitik eingeschlossen.
Die Stärkung der Demokratie erfordert, dass dem Europäischen Parlament damit einhergehend selbstverständlich das Mitentscheidungsrecht eingeräumt werden muss.
Erfolg in Nizza heißt auch: es darf nicht nur eine bloße Deklaration der Grundrechtecharta geben. Es ist einfach indiskutabel, dass mehrere Regierungen die Frage der Aufnahme eines Verweises auf die Charta in Artikel 6 (2) des Vertrages einfach vom Tisch gefegt haben, wie Minister Védrine ausführte. Ein solcher Verweis im Vertrag ist für mich ebenso unverzichtbar wie eine breite öffentliche Debatte mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Die Union braucht keine militärische Eingreiftruppe und Milliarden verschlingende Rüstungsmodernisierungsprogramme. Erfolg oder Misserfolg in Nizza werden vielmehr daran gemessen, ob die Regierungen endlich die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen. Es ist gut, dass Zehntausende in Nizza auf die Straße gehen und aktiv ein soziales Europa einfordern werden. Die Europäische Union muss dem Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung höchste politische Priorität beimessen. Ich nehme zur Kenntnis, dass sich die französische Präsidentschaft dafür engagieren will. Nur, Herr Minister, übermitteln Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen: nicht Worte, sondern Taten sind gefragt!