Redebeitrag zur Lage in Tschetschenien
Helmuth Markov am 20. Januar 2000 vor dem EP
Der Krieg in Tschetschenien wütet mittlerweile vier Monate. Das Europäische Parlament hat ihn verureilt, einen Waffenstillstand und die Aufnahme des politischen Dialogs verlangt. Das Parlament hat dazu beigetragen, daß humanitäre Hilfe geleistet wird und daß finanzielle Mittel der Europäischen Union in diese Richtung umgeleitet werden. Ein Ende des Krieges und des Leidens der Zivilbevölkerung ist nicht in Sicht, geschweige denn eine dauerhafte Lösung des Konflikts. Hat die EU wirklich alles getan, was in ihren Kräften steht? Tatsache ist, daß der Rat und einige Mitgliedstaaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, außerordentlich zurückhaltend sind hinsichtlich ihrer politischen, diplomatischen und ökonomischen Reaktionen auf die anhaltende Weigerung Rußlands, in den politischen Dialog einzutreten.
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen deutlich machen, daß die völlig unverhältnismäßige Anwendung militärischer Gewalt zur Lösung des Konflikts in Tschetschenien und die massive Verletzung von Menschenrechten nicht hinnehmbar sind. Das Europäische Parlament sollte sich für die Aussetzung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit Rußland einsetzen, bis Rußland einem Waffenstillstand zustimmt. Darüber hinaus sollten wir die Mitgliedstaaten auffordern, ergänzende politische, diplomatische und wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen zu realisieren.
Waffengeschäfte und die finanzielle Unterstützung der kriegführenden Parteien müssen umgehend unterbunden werden. Das souveräne Recht Rußlands, seine territoriale Integrität zu schützen und Terrorismus zu verfolgen, ist unbestritten. Die Frage ist, mit welchen Instrumentarien man dies tut. Das Verhältnis von Dialog und Kooperation mit Rußland und Sanktionen angesichts des Krieges ist eine komplizierte Gratwanderung. Wir dürfen Rußland nicht demütigen und isolieren, wie das im vergangenen Jahrzehnt zigfach geschehen ist. Die gegenseitige vorteilhafte Kooperation und Partnerschaft mit Rußland ist für eine friedliche Entwicklung Europas unverzichtbar. Die Außenpolitik der Europäischen Union ist jedoch nur dann glaubhaft, wenn sie im Falle von Krieg und massiven Verletzungen von Menschenrechten vor konsequenten politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Aktivitäten nicht zurückschreckt.