An den Ergebnissen der Bodenreform darf niemand rütteln
Rede Hans Modrows auf der Kundgebung in Kyritz am 2. Sept. 2000
Liebe Freunde,
Jahrestage historischer Ereignisse werden in Erinnerung gerufen, um zu mahnen, um zu würdigen, um Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen, die für Gegenwart und Zukunft von Bedeutung sind. Manchmal werden sie auch zur Herausforderung, zurückliegendes Geschehen zu verteidigen. Ein solches Ereignis ist der Beginn der Bodenreform im Jahre 1945.
Im August hatten sich die Siegermächte in Potsdam versammelt, um in voller Verantwortung für die Sicherung des mit so viel Blut, unter Leid und Tränen erkämpften Sieges über Hitlerdeutschland zu sorgen. Ihr Beschluss lautete damals: Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, damit Deutschland nie wieder seine Nachbarn oder den Weltfrieden bedroht! Folgerichtig, in Übereinstimmung mit den Zielen des Potsdamer Abkommens wurden von den Besatzungsmächten Maßnahmen zur Demilitarisierung, Denazifizierung und Demokratisierung beschlossen, die allerdings – wie sich bald zeigte – mit unterschiedlicher Konsequenz durch- geführt wurden. Mit großer Entschlossenheit unternahm die sowjetische Militäradministration entsprechende Schritte zur Enteignung der Nazis und Kriegsverbrecher. Mit ihrer Zustimmung und im Einklang mit den Beschlüssen der vier Alliierten wurde 1945 von den Landesbehörden in Ostdeutschland die Bodenreform in Angriff genommen und verwirklicht und damit dem reaktionären preussischen Junkertum als einem der Hauptträger des Naziregimes die Basis entzogen. „Junkerland in Bauernhand!“ war damals eine politische Forderung, die durch Entmachtung Frieden stiften , durch Veränderung der Eigentumsverhältnisse sozialen Anspruch erfüllen sollte. Als die Landesorgane in Hessen ebensolche Schritte bedachten, wurden sie von der britischen Besatzungsmacht gestoppt.
Im Zuge der Bodenreform in Ostdeutschland erhielten den größten Teil des enteigneten Bodens ehemalige Landarbeiter sowie Umsiedler, die durch die Potsdamer Beschlüsse der vier Alliierten ihre Heimat in Ostpreußen, Schlesien und der CSR verlassen mussten. Angemerkt werden sollte an dieser Stelle, welche riesigen Leistungen damals von der DDR zur Integration der 4,3 Millionen von insgesamt 8 Millionen Umsiedlern a l l e i n aus Polen erbracht wurden, noch dazu in einem Gebiet, das im Gegensatz zur BRD zu jener Zeit sowohl von bedeutendem industriellem als auch landwirtschaftlichem Potenzial abgetrennt war.
Es ist hier nicht die Stunde eines umfassenden geschichtlichen Vortrags, es ist aber Zeit und Ort, um aus aktueller Sicht etwas zur Sache zu sagen. Als ich am 1. Februar 1990 meinen Plan zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten bei voller Gleichberechtigung und zur sozialen Absicherung der DDR-Bürgerinnen und -Bürger unterbreitete, gab es manch Unverständnis. Doch die Zeit war dafür mehr als reif. Der Zeitgeist heute will Vorschlag und Umstände vergessen machen, weil die von uns angedachte Variante die Rechte der DDR-Bürgerinnen und -Bürger, ihre Interessen höher stellte als die von Kohl verfolgte, die dem deutschen Großkapital und der NATO diente. Übrigens sollten wir den Streit, ob Kohl der richtige Redner für den 3. Oktober ist der CDU überlassen. Von seiner penetranten Selbstdarstellung als „Kanzler der deutschen Einheit“ und der Verfälschung der Geschichte auch durch ihn habe ich persönlich ohnehin genug!
Als am 1. März 1990 die von mir geleitete Regierung der Nationalen Verantwortung die Enteignungen durch die sowjetische Militäradministration für rechtens erklärte und damit auf die Bewahrung der Bodenreform zielte, haben dem Beschluss die in unserem Kabinett vertretenen demokratischen Sozialisten und sozialen, christlichen und liberalen Demokraten sowie die Parteien der sogenannten Bürgerbewegung zugestimmt. Am 27. März 1990 hat die Regierung der Sowjetunion mit ihrem Vorsitzenden Ryshkow unsere Position unterstützt und sich gegen alle Versuche gewandt, „die Vermögensverhältnisse in der DDR im Falle der Bildung der Währungs- und Wirtschaftsunion mit der BRD sowie im Falle des Entstehens des einheitlichen Deutschlands in Frage zu stellen“. Ohne diese damalige klare Haltung der Sowjetregierung wäre im 2+4-Prozess die Bodenreform von der Regierung der alten BRD unter den Teppich gekehrt worden. Aber alle vier Siegermächte – und nicht nur die Sowjetunion – waren offensichtlich nicht bereit, auf eine solche Position einzuschwenken.
Heute helfen den Erben der Großgrundbesitzer auch keine gut bezahlten Gedächtnislücken eines Michail Gorbatschow! Das Recht, völkerrechtlich verankert, ist auf der Seite der Bodenreformbauern! Es muss mit aller Entschiedenheit verteidigt werden! In dieser Frage hat der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe, kürzlich seine volle Übereinstimmung mit mir erklärt und mich gebeten, hier seine Grüße zu übermitteln.
Die Regierung der Russischen Föderation hat im Jahre 1998 angesichts der Gorbatschow-Äußerungen und des Treibens der Großgrundbesitzer und ihrer Erben noch einmal ihre Haltung mit den Worten bekräftigt: „Wer Verpflichtungen aus dem 2+4-Vertrag in Frage stellt oder sie, aus welchen Gründen auch immer, extensiv auszulegen versucht, muss sich darüber klar sein, dass er damit unweigerlich dem Vertrag als Ganzem, dem dort erreichten Gleichgewicht der Rechte und Pflichten aller Seiten Schaden zufügt. Der Vertrag aber ist eines der Grundsatzdokumente, auf denen die heutige Ordnung Europas ruht.“
Wir befinden uns hier an einer Stätte, die Teil deutscher Nachkriegsgeschichte geworden ist. Wer in welcher Form auch immer für ein Umschreiben oder ein Umdenken der Geschichte, der Rolle der deutschen Großgrundbesitzer, des Junkertums wirbt, muss in der Logik des Gedenkens wissen, dass es am Ende um Recht oder Unrecht der Bodenreform geht und dass er im Grunde die Angriffe gegen diesen historischen Schritt stützt. Schon eine private Meinung in diesem Sinne ist kaum zu tolerieren; wenn sie von einer Persönlichkeit in einem öffentlichen Amte kommt, erfordert sie, wenn nötig aus den eigenen Reihen, den Widerspruch. Was die Wegstrecke aus der Bodenreform in die Genossenschaften der DDR anbelangt, gäbe es gewiss manch kritisches Wort zu sagen, aber über den Sinn genossenschaftlicher Arbeit würde damit auch heute nicht der Stab gebrochen.
Wir haben uns zusammengefunden, um die Bodenreform zu würdigen, wir sind zusammengekommen, und dazu möchte ich Sie aufrufen, um sie zu schützen und zu bewahren. In diesem Sinne Dank denen, die im September 1945 den Mut hatten, sie zu vollziehen, und alles Gute denen, die heute für ihre Rechte entschlossen eintreten!