Budgetentwurf zementiert Armutsgrenze in Europa
Rede von Hans Modrow zum Haushaltsverfahren 2001 am 24. Oktober in Strassburg
Haushaltsdebatten sollten eigentlich Sternstunden im Parlament sein. Wir sind davon, glaube ich, doch ein ganzes Stück entfernt. Der Berliner Rat hat sich auf eine Obergrenze für das Budget von 1,135% orientiert. Nun ist die Kommission bei 1,07, und der Rat will 1,05. 1,27 ist eigentlich die Agenda. Das geschieht in einer Zeit, wo die Ausgaben für den Balkan bekanntlich ansteigen. Die bisher genannte Summe von 200 Mio. Euro für Serbien kommt den wirklichen Notwendigkeiten nicht einmal nahe. Eine solche Summe ist doch schon fast für den Wahlkampf als Spende geflossen. Der NATO-Krieg hat zuviel zerstört und zu großes Leid hinterlassen. Die neuen politischen Kräfte, die hier Zustimmung finden, stehen vor der Aufgabe, nicht nur politische Arbeit zu leisten, sondern auch die Trümmer des NATO-Krieges mit zerstörten Betrieben, Schulen, Krankenhäusern, Brücken und anderes wegzuräumen, Aufbauarbeit zu leisten. Ich unterstreiche besonders, dass wir Verantwortung für das Schicksal aller Bürger des Landes übernehmen müssen; dazu zählen mehr als 500 000 Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Jugoslawien sind. Kein anderes Land hat soviel Flüchtlinge aufgenommen.
Das Parlament wird nun aufgefordert, Bescheidenheit in sozialen Bereichen zu prüfen, die Mittel für die Entwicklungspolitik bei wachsender Weltarmut einzuschränken. Dabei ist heute schon erkennbar: Die Beitrittsfähigkeit der Europäischen Union für die Staaten Mittel- und Osteuropas ist nicht nur eine Sache der Reform der Institutionen, sondern auch – und ich meine, noch viel mehr – eine Herausforderung an die Leistungsfähigkeit der Union. Wenn keine andere Budgetpolitik betrieben wird, wird Europa durch eine tiefe Armutsgrenze gerade mit dem Beitritt dieser Staaten noch weiter geteilt. Nicht Reden oder Erklärungen sind notwendig, sondern ein konkretes, soziales und ein neues solidarisches Handeln der Europäischen Union. Das Parlament wird dabei gefordert sein, seinen eigenen Beitrag zu leisten.