Rechtsextremismus den Boden entziehen

Rede Helmuth Markovs vor dem Europäischen Parlament am 21. September 2000 zu ‚Rassismus im Osten Deutschlands‘

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

In der Antwort auf die Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung für das Jahr 1999 2031 rechtsextremistische und antisemitische Straftaten in Deutschland ausgewiesen. Der Tagesspiegel listet 93 Morde mit rechtsextremem Hintergrund in den letzten 10 Jahren auf. Die Entwicklung im Osten Deutschlands ist für mich, der aus der DDR kommt, besonders bitter.

Zweifellos gibt es Begründungen, die in der Gesellschaft der DDR liegen, insbesondere die Nachwirkung autoritärer Strukturen und die Schwäche der Zivilgesellschaft im Osten Deutschlands.

Aber es gibt ebenso viele, die mit der Entwicklung der letzten 10 Jahre zu tun haben:

die Abkopplung der ökonomischen und sozialen Entwicklung Ostdeutschlands von der in den alten Bundesländern,
die Mißachtung ostdeutscher Lebensläufe und Erfahrungen,
die fehlende Konsequenz bei der Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart des Rechtsextremismus.

Infrastruktur, Organisation und Geld werden durch seit langem bestehende rechtsextreme Parteien und Organisationen aus den alten Bundesländern massiv in die neuen Bundesländer hinein getragen.

Die soziale Polarisierung der Gesellschaft, der Rückzug des Staates aus Sozial- und Bildungseinrichtungen und der immer härtere Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt sind ein günstiger Nährboden für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das Gefühl der Hilflosigkeit, das viele Menschen angesichts des sozial und kulturell zerstörerischen Globalisierungswettlaufs, der Zurückdrängung von Politik und Demokratie gegenüber Gewinninteressen von Unternehmen erfaßt, bietet Rechtsextremen gute Ansatzpunkte. Eine politische Rhetorik, die sich auf Nationalismus stützt, Zuwanderung und Immigration zum Ausgangspunkt von Wahlkampagnen macht, ebnet den Weg für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Die restriktive Asyl- und Ausländerpolitik der Europäischen Union, der Mangel an Transparenz und an Einbeziehung der Bürger in die Entscheidungen tun ein ihriges.

Wir brauchen aber noch viel mehr:

eine konsequente Stigmatisierung rassischer und rechtsextremer Anschauungen,
einen Wandel der Asyl- und Ausländerpolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Richtung Akzeptanz und Integration von Immigranten und Asylbewerbern,
aktive Beschäftigungs- und Sozialpolitik, insbesondere für Jugendliche und
eine humanistische Bildungspolitik, die zu Toleranz erzieht und kulturelle und ethnische Vielfalt als Bereicherung betrachtet.

Dies gilt nicht nur für Ostdeutschland, obwohl die ökonomischen und sozialen Probleme hier besonders groß sind. Wenn es gelingt, die Entwicklung dieser und anderer unterentwickelter Regionen an die der anderen in der Europäischen Union anzukoppeln, wird Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit Boden entzogen.