EU zum Vorreiter eines sozialen Europas machen!
Redebeitrag Helmuth Markovs vor dem Strasbourger Plenum am 15. November 2000 zum Bericht über Zusatzkrankenversicherungen
Herr Rocard fordert die Kommission auf, in einem Grünbuch Merkmale einer „Basissicherung“ in der gesetzlichen Krankenversicherung zu definieren. In dieser Logik würden alle Leistungen, die nicht in der Basissicherung enthalten sind, durch private Zusatzkrankenversicherungen abgedeckt werden müssen.
Das heißt, die bisher auf dem Solidaritätsprinzip aufbauende gesetzliche Krankenversicherung wird zu einem Gesundheitssystem a la carte geschrumpft – neokonservativer geht’s nimmer. Die Bürgerinnen müssten wachsende Beträge in private Zusatzkrankenversicherungen investieren, um kostenträchtigere Behandlungen finanzieren zu können, die bisher von der gesetzlichen Krankenkasse getragen wurden. Wer z.B. chronisch krank ist und gleichzeitig über wenig Einkommen verfügt, wird so kaum mehr die notwendigen medizinischen Behandlungen bezahlen können. Das bedeutet Sozialabbau pur und eine Abkehr vom Prinzip einer egalitären, bedarfsorientierten Gesundheitsversorgung für alle.
Wir lehnen diese unsoziale „Reform“ ab. In Artikel 35 der Grundrechtscharta wird gefordert, ein Recht auf Zugang für alle zu präventiver Gesundheitsversorgung zu etablieren und ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes zu definieren und umzusetzen. Auf dieser Grundlage sollte die Kommission eine Initiative ergreifen und konkrete Eckpunkte als Leitlinien für die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten artikulieren. So würde sich die EU zum Vorreiter eines sozialen Europas und hoher Standards einer Gesundheitsversorgung für alle Bürger unabhängig von ihrem Einkommen machen. Koordinierungsregeln für private Zusatzkrankenversicherungen in der EU sind sinnvoll, soweit es um die Sicherstellung der Freizügigkeit von Personen und Arbeitnehmerinnen geht. Wir unterstützen auch die Forderung nach einem Verbot von Gentests oder medizinischer Untersuchungen zur Risikoselektion. Zusatzkrankenversicherungen müssen einen Risikoschutz gegen Bankrott, Insolvenz und betrügerische Manipulationen beinhalten, aber nicht als Hebel zum Abbau des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherungen dienen.