TTIP: Auswirkungen auf die Chemikaliensicherheit

Michael Braedt

von Michael Braedt, Experte für REACH im Umweltministerium von Niedersachsen

Seit Ende 2006 gilt EU-weit die REACH-Verordnung (EG) 1907/2006[1]. REACH steht für Registration, Evaluation (Bewertung), Authorisation (Zulassung) und Restriction von Chemikalien. Jede Chemikalie, die in Mengen von 1Tonne/Jahr in Europa hergestellt oder nach Europa  importiert wird, muss zuvor bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA registriert worden sein.

Für alle Chemikalien ist bei der ECHA ein Grunddatensatz vorzulegen, der je nach Menge und Gefährlichkeit der jeweiligen Chemikalie mit zusätzlichen Tests insbesondere auf human- und ökotoxisches Verhalten aufgestockt werden muss. Ohne Vorlage dieser Daten ist ein Stoff in und aus Europa nicht vermarktungsfähig. Artikel 5 der rd. 1000-seitigen REACH-Verordnung reduziert die Kernaussage von REACH auf 4 Worte: „No data – no market“.

Die REACH-Verordnung wurde auf wesentliche Intervention der damaligen EU-Umweltkommissarin Margit Wallström aus Schweden entwickelt. Sie verankerte damit das in Skandinavien seit vielen Jahren praktizierte Prinzip der vorsorgenden Gesetzgebung im europäischen Rechtsrahmen. Mit REACH müssen die Behörden jetzt nicht mehr den einzelnen Unternehmen nachweisen, dass deren Chemikalie gefährlich ist, sondern die Firmen müssen ihrerseits gegenüber den Behörden im Detail vor dem erstmaligen Inverkehrbringen der Chemikalie nachweisen, dass der Umgang damit für Mensch und Umwelt ungefährlich ist.

Bei einem Stoffvolumen von mehr als 100t/Jahr müssen sogar noch ergänzende Stoffbewertungen erfolgen. Zudem können ECHA und EU-Kommission bei gefährlichen Stoffen erhebliche Nutzungseinschränkungen bis hin zum Stoffverbot durchsetzen.

 

TSCA – das „REACH-light“ der USA

Das US-System TSCA (Toxic Substance Control Act) sieht praktisch für Chemikalien, die vor 1976 auf dem Markt waren, kaum Kontrollen vor. In den USA müssen Behörden – oder nachfolgende Gerichtsprozesse – beweisen, dass ein Stoff gefährlich ist. Ansonsten dürfen erst mal alle Chemikalien auf den Markt gebracht werden. 90 Tage vor Inverkehrbringen von Chemikalien auf dem US-Markt müssen US-Firmen minimale Daten liefern, die keinen Rückschluss auf eine potentielle Gefährdung ermöglichen.

Erst ab Produktionsmengen über 100t/a sind toxikologische Tests erforderlich. Das US-Pendant zur europäischen ECHA ist die Environmental Protection Agency (EPA).

 

Sind REACH und TSCA vergleichbar?

In der nachfolgenden Tabelle werden die Datenanforderungen an Chemikalien in EU und USA gegenübergestellt[2]:

 

 

TSCA

TSCA

REACH

REACH

 

Neue Chemi-

kalien (nach 1976) > 100t

Chemikalien, vor 1976 auf dem Markt

> 100t

> 1.000 t

PC-Daten

1

0

17

17

Toxizitätstests

4

0

15

16

Öko-Toxi-zitätstests

9

0

16

21

Die Tabelle macht deutlich, dass die Anforderungen an Sicherheitsnachweise in der EU deutlich höher sind als in den USA, bevor diese erstmalig auf Mensch und Umwelt losgelassen werden.

 

Wird TTIP das durch REACH erreichte Schutzniveau in Sachen Chemikaliensicherheit senken?

Da die Verhandlungen zwischen EU und den USA geheim geführt werden, kann diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden. Die Bundesregierung hält sich bedeckt. Auf eine Kleine Anfrage[3] der DIE LINKE-Fraktion im Bundestag, ob die Bundesregierung bereit sei, im Rahmen der TTIP-Verhandlungen eine „Abkehr vom in der EU verbreiteten Vorsorgeprinzip etwa im Bereich der Gentechnik und der Zulassung und Verwendung von Chemikalien zu akzeptieren“, antwortete diese unverbindlich: „Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass der Spielraum der EU, wissenschaftlich begründete Maßnahmen auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips zu treffen, erhalten bleibt.“

Der TTIP-Chefunterhändler der EU Ignacio Garcia Bercero erklärte am 17.03.2014 im EU-Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, dass das Schutzniveau der REACH-Verordnung nicht herabgesetzt werde.[4] Andererseits schlug die Kommission in einem Strategiepapier vor, im Chemiesektor das Prinzip der wechselseitigen Anerkennung von Testverfahren und Marktzulassung einzuführen.

Das hätte Konsequenzen: Auch EU-Firmen könnten dann über ihre Tochterfirmen in den USA die härteren EU-Vorschriften umgehen, sich über TSCA registrieren lassen und dann auf den EU-Markt gelangen.

Auch aus Tierschutzgesichtspunkten muss TTIP abgelehnt werden. Die rigiden europäischen Tierschutzvorschriften beim Test von Chemikalien gibt es in den USA nicht. Da Alternativen zu Tierversuchen meistens kostenintensiver sind, werden sowohl US-Firmen als auch EU-Firmen (über ihre US-Töchter) die Tests in den USA durchzuführen und versuchen, sie über TTIP für den EU-Markt zu legitimieren.

Ebenso ist offen, ob selbst bei Beibehaltung von REACH in Europa US-Firmen mit Hilfe des im TTIP (noch) vorgesehenen ISDS (Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren) die Möglichkeit erhalten, erfolgreich auf entgangenen Gewinn zu klagen.

Dr. Ing. Michael Braedt, Chemiker und Ingenieur, ist zuständig für Chemikaliensicherheit im Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz in Hannover. Kontakt: michaelbraedt@web.de

 

 

[1] Erläuterungen zu REACH und die jeweils konsolidierte Version finden sich auf der Webseite der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA): www.echa.europa.eu.

[2] Nach Vorlesung von F. Dingezu, Fa. Merck Serono an der Universität Leipzig, am 13.02.2014 zum Vergleich REACH-TSCA.

[3] Bundestags-Drucksache 14755 vom 16.09.2013

[4] http://www.europarl.europa.eu/ep-live/de/committees/video?event=20140317-1500-COMMITTEE-IMCO