Es ist nicht nur die Gentechnik . TTIP und die Entwicklung der Landwirtschaft

Von Beate Schwigon, Andreas Bergmann und Christian Rehmer, wissenschaftliche Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Landwirtschaft der Bundestagsfraktion DIE LINKE

TTIP und die agrarstrukturelle Entwicklung

Von jeher sind die Landwirtschaftsstrukturen zwischen Europa und den USA komplett unterschiedlich. Während sich die Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten nach industriell-kapitalistischen Maßstäben entwickelte, war für die europäische Agrarentwicklung die Balance der vielfältigen Funktionen der Landwirtschaft im ländlichen Raum das Leitbild. Dazu gehört der Erhalt der vielen unterschiedlichen Agrarkulturlandschaften in Europa. Regionen, die oft durch eine lange Tradition bestimmter Bewirtschaftungsformen geprägt sind, benötigen bestimmte Formen der Landbewirtschaftung. Das gilt zum Beispiel für die typischen Grünlandgebiete in Mittelgebirgen, im Voralpenland oder an den Küsten. Zum Erhalt dieser regionalen Eigenheiten ist eine wirtschaftlich tragfähige Milcherzeugung unabdingbar. Diese oft an die natürlichen Verhältnisse angepassten Bewirtschaftungsformen lassen sich nicht in Konkurrenz setzen zu industriellen Produktionsformen, die bei tendenziell gesättigten Märkten über den Preiskampf und den damit verbundenen Verdrängungswettbewerb die traditionellen Landwirtschaftssysteme gefährden.

Die USA besitzen mit ihrer landwirtschaftlichen Erzeugungsstruktur beim Freihandel mit Europa einen großen  strukturellen Vorteil, wenn es nur um Absatzmärkte durch Preiskampf geht. Der in der EU bestehende Außenschutz durch hohe Importzölle bei nahezu allen wichtigen Agrargütern galt vor allem der Sicherung der europäischen Agrarstruktur gegenüber den USA und Südamerika. So konnte sich eine Europa gemäße, eigenständige und auch erfolgreiche Agrarwirtschaft entwickeln. Spezifische agrarpolitische Instrumente ermöglichten notwendigen Strukturwandel, so dass die Produktivität der Betriebe wachsen konnte und Europa zuerst zum Selbstversorger wurde und darüber hinaus erzeugte landwirtschaftliche Produkte exportieren kann. Dabei haben sich die Wertschöpfung und Standards der Erzeugung gesunder Lebensmittel zu Gunsten von Verbraucherinnen und Verbrauchern weiter entwickelt.

Anfang der 1990er kam die Förderung der ländlichen Räume als neues agrarpolitisches Instrument hinzu. Anders als in den USA versucht Europa mit dieser Politik, die Belange strukturschwacher ländlicher Regionen in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu integrieren und dabei ihre besondere Bedeutung für den Erhalt der Biodiversität und den Klimaschutz zu berücksichtigen.

Wenn auch die Ergebnisse der aktuellen europäischen Agrarreform noch viele Wünsche offen lassen und aus Sicht der LINKEN eine konsequent sozial-ökologisch ausgerichtete Agrarreform ausgeblieben ist, wurden doch agrarpolitisch fortschrittliche Instrumente für eine nachhaltige Entwicklung verankert. So wie allerdings derzeit die Diskussionen mit den USA zu TTIP verlaufen, ist die gesamte europäische Agrarstruktur gefährdet.

Andere Länder, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, zeigen, wohin ein mangelnder Außenschutz führt: Agrarindustriell erzeugte Überschussgüter wie zum Beispiel Hähnchenteile aus Südamerika und Europa überschwemmen zu Dumpingpreisen die Agrarmärkte Westafrikas und verhindern die Entwicklung einer eigenständigen nachhaltigen Landwirtschaft. Gleichzeitig expandieren Agrarkonzerne und reißen sich wichtige Ressourcen (Stichwort Landgrabbing) in diesen Ländern unter den Nagel.

Freihandelsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) – zurück auf Null beim Tier-und Verbraucherschutz?

Mit TTIP würden für den Profit international agierender Agrarkonzerne zahlreiche
jahrzehntelang in Europa erkämpfte Erfolge des Verbraucherschutzes verloren gehen.

Eine wesentliche Stolperfalle im TTIP ist, dass die Konzerne Staaten auf Schadensersatz verklagen können, wenn neue Gesetze ihre Geschäfte beeinträchtigen. Jetzt wird zwar gesagt, dass unsere Standards nicht aufgegeben werden, aber was ist, wenn nach in Krafttreten von TTIP durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse bestimmte Stoffen als gesundheitsschädlich erkannt und verboten werden? Dann müssten Unternehmen ihre Produktion entsprechend anpassen. Das kostet Geld und minimiert demnach den Gewinn. Dann also soll nach TTIP ein Konzern Schadensersatz auf den entgangenen Gewinn einklagen können. Da die EU-Unterhändler dieses nicht empört zurückweisen, ist es unsere Aufgabe die Zivilbevölkerung darüber aufzuklären und Widerstand zu organisieren.

In den USA sind Verfahren erlaubt, die in Europa zum Teil seit vielen Jahrzehnten verboten sind, wie:

·         der Einsatz von Hormonen wie Rinder-Somatotropinen (rBST),

·         die Gabe von Antibiotika und die Verabreichung des Futtermittelzusatzes Ractopamin zur Wachstumsförderung – obwohl damit aus europäischer Perspektive gesundheitliche Risiken verbunden sind;

·         die Desinfektion von Hühnerfleisch mit Chlordioxid. Dadurch ist eine hygienisch wesentlich laxere Schlachtung und Verarbeitung möglich. Aus europäischer Sicht werden insbesondere die Hygienestandards bei der Haltung, Schlachtung und Verarbeitung der Masthähnchen durch die Chlorbehandlung gesenkt, während in den USA die „nicht desinfizierten“ Schlachtkörper aus der Geflügelerzeugung auf Ablehnung stoßen;

·         Kälberboxen für Einzeltiere, konventionelle Käfighaltung von Legehennen und die Kastenhaltung von Sauen – Formen der Tierhaltung, die in der EU aus Gründen des Tierschutzes verboten sind;

·         der Einsatz von in der EU aus gesundheitsgefährdenden Gründen nicht erlaubten Pestiziden.

Zudem sind die Grenzwerte für Pestizidrückstände bei Obst und Gemüse in der EU strenger. Weitere Ziele in der EU-Agrarpolitik wie eine Verbesserung des Tierschutzes in der Landwirtschaft, die Senkung des Antibiotikaverbrauchs, Minderung des Pestizideinsatzes usw. würden ebenfalls gefährdet.

 

TTIP höhlt Gentech-Kennzeichnungspflicht in EU aus

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) durchlaufen in der EU ein Zulassungsverfahren, bevor sie auf den Markt kommen. Dabei werden Umweltauswirkungen und gesundheitliche Effekte beurteilt. Gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel sind zudem kennzeichnungspflichtig, mit Ausnahme tierischer Produkte wie Milch, Fleisch und Eier, die über die Verfütterung von Gentech – Pflanzen erzeugt worden sind.

In den USA nehmen die Behörden einen Gentech-Zulassungsantrag in der Regel lediglich zur Kenntnis. Dabei vertrauen sie auf die Angaben des Herstellers, der seinem Produkt attestiert, dass davon keine Gesundheits- oder Umweltgefahren ausgehen. Agrarkonzerne wollen das geplante Freihandelsabkommen nutzen, um die Gentechnik-Gesetzgebung der EU in ihrem Sinne zu ändern.

Durch TTIP wird möglicherweise eine gegenseitige Anerkennung der Standards stattfinden. Gentechnisch veränderte Produkte aus den USA könnten dann ungekennzeichnet in der EU verkauft werden.

Gewachsene Verantwortung des Europäischen Parlaments

 Insbesondere in der Agrar- und Haushaltspolitik wurde die Stellung des Parlaments gestärkt. Für einen effektiven Umwelt-, Klima- und Naturschutz müssen alle EU-Staaten die EU-Vorgaben umsetzen. Die führende Rolle der Europäischen Union beim Schutz unserer Lebensgrundlagen wünscht die Mehrheit der Bevölkerung in den EU – Mitgliedsstaaten.

Das TTIP- Abkommen droht, falsche Weichen zu stellen und die hohen EU-Standards im Verbraucher-, Gesundheits-, Klima- und Tierschutz auf Wunsch der USA zu lockern und auf deren niedrigeres Niveau zu senken. Das Europäische Parlament als Vertretung der Verbraucher_innen, Arbeitnehmer_innen und Steuerzahlerinnen muss sich hier dringend einbringen und ein Stopp-Zeichen setzen. Die derzeitigen Standards werden sich je nach wissenschaftlichen Erkenntnissen künftig weiter verändern. Lebensmittelsicherheit ist im weitesten Sinne ein Prozess  und keine Verhandlungsmasse. Dafür darf es kein Verhandlungsmandat mit den USA geben.

 

Die Autoren erreichen Sie über bergmann@kirsten-tackmann.de