TTIP und Entwicklungsländer – Des einen Freud, des andern Leid
Von Sabine Lösing
Das TTIP würde den größten Wirtschaftsraum der Welt begründen. EU- und US-Wirtschaft sind gemeinsam fast ebenso groß wie die Wirtschaftsleistung der übrigen Welt zusammengenommen. Das kann nicht spurlos an anderen Weltregionen vorbeigehen.
Zunahme des EU-USA-Handels auf Kosten der Entwicklungsländer?
EU und USA wollen mit TTIP den Handel untereinander erhöhen. Diese würde auch auf Kosten von Schwellen- und Entwicklungsländern erfolgen.[1] Bestimmte Produkte von Entwicklungsländern könnte die EU dann kostengünstiger aus den USA importieren. TTIP sieht zudem einen transatlantischen Regulierungsrat vor.[2] Dieser soll gemeinsame Normen (unter anderem zu Umweltschutz-, Qualitätsstandards und Produkteigenschaften) für EU und USA ausarbeiten. Da viele Länder vom Handel mit der EU und den USA abhängig sind, müssten sie sich diesen Regeln unterwerfen. Es besteht die Gefahr, dass die Normen so gestaltet werden, dass sich EU und USA vor Konkurrenz aus Entwicklungs- und Schwellenländern abschotten. Unternehmen aus EU und USA arbeiten von Anfang an die Normen mit aus und können dafür sorgen, sich missliebiger Konkurrenz zu entledigen. Für Entwicklungsländer bedeutet das Werkschließungen und Arbeitsplatzverlust.
Eine Studie des IFO-Instituts legt nahe, dass besonders nord- und westafrikanischer Länder die TTIP-Verlierer wären.[3] Das hätte eine Erhöhung der Armut zur Folge. Vermutlich wird das die Flüchtlingsströme nach Europa verstärken. Auf die Abschottung der Märkte würde eine verstärkte Abschottung vor Flüchtlingen folgen. Bis heute sind mehr als 19 000 Menschen beim Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer ertrunken. Durch TTIP könnten es noch mehr werden.
Patentschutz zulasten der Armen
EU- und US-Unternehmen wollen TTIP als Vehikel nutzen, um einen strengeren Patentschutz in der Welt durchzusetzen. Das hätte dramatische Folgen. Viele Menschen in Entwicklungsländern könnten nicht mehr ausreichend medizinisch versorgt werden. Der indische Generika-Hersteller Nacto beispielsweise könnte sein billiges Krebsmedikament für 160 US-Dollar nicht mehr anbieten. Das 5.000 US-Dollar teure Originalmedikament von BAYER wäre für die meisten Kranken unbezahlbar.[4]
US-Saatguthersteller Monsanto könnte sein Saatgut weltweit noch besser patentieren und vermarkten lassen. Bauern in Entwicklungsländern würden dazu gezwungen, das überteuerte Saatgut zu kaufen. In Indien sind die dramatischen Folgen heute schon sichtbar: Bauern verschulden sich hoch. Hunderte von ihnen wurden bereits in den Selbstmord getrieben.
Schutz westlicher Konzerne vor demokratischen Entscheidungen in Entwicklungsländern
Das TTIP soll umfangreiche Investitionsschutzbestimmungen enthalten. Wenn ein Unternehmen seine Rendite wegen einer staatlichen Vorschrift geschmälert sieht, soll es vor einem Schiedsgericht klagen können (ISDS-Verfahren). Diese Regelung soll jedoch nicht nur auf die EU und die USA beschränkt bleiben. Die US-Handelskammer will diese Regelung vor allem deshalb im TTIP verankern, um ein Modell-Abkommen zu gestalten, das später auch anderen Ländern aufgezwungen werden kann.[5] Ein Entwicklungsland könnte eine privatisierte Wasserversorgung künftig nicht mehr verstaatlichen, um der Bevölkerung das Recht auf Wasser zu gewährleisten. Denn das betroffene Unternehmen könnte gegen diese Entscheidung klagen, weil das ihre Rendite schmälert. Profite gehen vor die Interessen der Menschen auf sauberes Wasser!
Transatlantische Vormachtstellung gegen den globalen Süden
Mit TTIP wollen die durch Finanz- und Eurokrise geschwächten und vom Aufstieg von Schwellenländern wie China herausgeforderten westlichen Industriestaaten ihre ökonomische Vormachtstellung verteidigen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Beyer schreibt, dass es bei TTIP um die „Sicherung des Wohlstandes und die Führerschaft bei Technologie und Innovation im euroatlantischen Raum“[6] gehe. Dass Entwicklungsländern damit Steine in den Weg zu mehr Wohlstand und zu einer gleichberechtigten Weltwirtschaftsordnung gelegt werden, verschweigt er.
Nicht nur für die Menschen in Europa muss TTIP gestoppt werden. Die Menschen in Entwicklungsländern haben ein vitales Interesse, TTIP zu verhindern. Ansonsten drohen ihnen Arbeitsplatzverlust und steigende Armut, Kranke verlören die Versorgung. Verschuldung unter Bauern würde zunehmen. Zudem könnten Regierungen in Entwicklungsländern immer weniger staatliche Maßnahmen zur Versorgung ihrer Bevölkerung mit Wasser, Wohnungen und Nahrung ergreifen. Denn Profite stehen über den Menschen. Wir sagen dagegen: Menschen vor Profiten!
Sabine Lösing ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und im Menschenrechtsausschuss sowie in der Delegation für Beziehungen mit dem Parlament Südafrikas. Kontakt: sabine.loesing@ep.europa.eu
[1] Axel Berger (DIE), Dr. Clara Brandi (DIE), Dr. Julia Kubny (KfW): Welche Folgen hat das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und EU für Entwicklungsländer?, KFW-DEVELOPMENT RESEARCH, Nr. 18, 14. Oktober 2013
[2] TTIP: Cross-cutting disciplines and Institutional provisions Position paper – Chapter on Regulatory Coherence, http://corporateeurope.org/sites/default/files/ttip-regulatory-coherence-2-12-2013.pdf
[3] Axel Berger (DIE), Dr. Clara Brandi (DIE), Dr. Julia Kubny (KfW): Welche Folgen hat das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und EU für Entwicklungsländer?, KFW-DEVELOPMENT RESEARCH, Nr. 18, 14. Oktober 2013
[4] Sevin Hilbig, in: Die Freihandelsfalle, S. 95.
[5] Siehe Sevin Hilbig, in: Die Freihandelsfalle, S. 93.
[6] Peter Beyer: Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft aus christdemokratischer Perspektive, in: Konrad Adenauer Stiftung: Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft Dynamik durch vertieften Handel?, http://www.kas.de/upload/dokumente/verlagspublikationen/Transatlantische_Wirtschaftspartnerschaft/transatl-wirtsch-partnerschaft-beyer.pdf, S. 8.