Von Brid Brennan und Lyda Fernanda Forero, Programm für Wirtschaftliche Gerechtigkeit des Transnational Institute

Die Widerstände gegen die transatlantischen Handels-und Investitionspartnerschaft (TTIP) werden auf beiden Seiten des Atlantiks intensiver. In Brüssel trugen europäische Bewegungen und Organisationen ihren öffentlichen Proteste vor den EU-Gipfel im Dezember 2013. Und während der jüngsten Verhandlungen EU-USA demonstrierten sie am 13. März vor der Europäischen Kommission.
Die Demo hatte das Motto „Stoppt TTIP“ und wurde von einem breiten Bündnis europäischer Netzwerke organisiert: der D19-20 Allianz, Alter Summit, Seattle-to-Brussels Network, Europäisches Attac Netzwerk, Blockupy und weitere Organisationen. Dabei waren auch VertreterInnen US-amerikanischer Gewerkschaften und Organisationen.

Aber warum all der Lärm?

Im letzten Jahr haben uns die zunehmenden Protestkampagnen mehrere starke Argumente genannt, warum TTIP gestoppt werden sollte. Es  wurde als „eine transatlantische Grundrechte-Charta der Konzerne“ bezeichnet, als „Gold-Standard der Konzerne“ und als „Elefantenhochzeit“, um den Charakter der Verhandlungen zwischen Brüssel und Washington zu beschreiben.

TTIP wird hinter verschlossenen Türen verhandelt – nur Unternehmen haben Zugriff auf den Inhalt und Verlauf der Verhandlungen, während die BürgerInnen im Dunkeln gelassen werden. Es zeichnet sich ab, dass es das am weitesten reichende Freihandels- und Investitionsabkommen aller Zeiten sein wird. Verankert werden soll auch ein Klagerecht für Investoren gegen Regierungen (ISDS), das die Rechte der Konzerne ausweitet Und die Rechte der BürgerInnen und Regierungen aushöhlt. Alles deutet darauf hin, dass wir von einer Rückentwicklung und Schwächung der geltenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Schutzmechanismen bedroht sind.

Auf dem Weg zu einer Koalition des Widerstandes der Völker gegen TTIP in Europa

Die Widerstände in Europa gegen TTIP wurden im letzten Jahr auf verschiedenen Ebenen entwickelt. In Deutschland, Frankreich, Spanien, Österreich, Großbritannien, Italien und Dänemark wurden für die Kampagnen bereits nationale Koordinierungen aufgebaut, in anderen Ländern gibt es Stellungnahmen großer, landesweiter Organisationen, die das öffentliche Bewusstsein für die Auswirkungen des TTIP stärken und von Regierungen und nationalen Parlamenten fordern, die Verhandlungen zu beenden.

Auch Bauernverbände, Umweltorganisationen, Verbraucher-Bündnisse, Gewerkschaften, Migrantennetzwerke, WissenschaftlerInnen[1] und weitere NRO[2] erkennen in TTIP eine Bedrohung für ihre jeweiligen Ziele. Diese Organisationen und Koalitionen vernetzen sich nun alle, um ein regionales Bündnis gegen TTIP zu entwickeln. Die Sorgen über die Auswirkungen von ISDS und TTIP unter Bewegungen gegen Fracking vergrößern Koalition des Widerstands noch weiter. Dazu kommen nun auch noch Organisationen, die gegen Austeritätsmaßnahmen und die aktuellen Wirtschafts- und Politikstrukturen in Europa kämpfen. Sie Fügen dem Widerstand eine neue Dimension hinzu und tragen zur Stärkung der Gesamtkampagne bei.

Mit macht auch, dass der Widerstand auf beiden Seiten des Atlantiks zunimmt. In den USA vernetzt sich dieser multi-sektorale Widerstand in der Citizens‘ Trade Campaign[3], die sowohl gegen TTIP als auch gegen die Trans -Pacific Partnership (TPP) mobilisiert.

Bauern und Gewerkschafter – TTIP bedroht Lebensgrundlagen und Arbeitsplätze

In der Demo am 13. März gab es eine starke Beteiligung von Bauern aus USA und EU. Ihre Redner betonten die negativen Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen insbesondere von Familienbetrieben von Bauern auf beiden Kontinenten. TTIP treibe sie in die Armut. Hinzu komme der Druck von den US-Agrarkonzernen, Standards in der Agrarproduktion nach unten zu „harmonisieren“ und die in der EU bestehenden Verbote der Chlor-Spülung von Hühnern, von mit Hormonen gefülltem Rindfleisch und von gentechnisch veränderten Organismen aufzuheben.

Die Transportarbeitergewerkschaft der USA (US Teamsters Union ist dort die größte Einzelgewerkschaft) und die belgische MOC (christliche Arbeiterbewegung) nahmen auch an der Demo teil. Ihre Redner sorgten sich um Arbeitsplatzverluste durch TTIP. Während der Protestwoche haben auch die beiden größten belgischen Gewerkschaften, CSC und FGTB, den Vertrag kategorisch abgelehnt. Die größte deutsche Einzelgewerkschaft, die IG METALL mit ihren 2,4 Millionen Mitgliedern, hat eine ähnliche Haltung bezogen. Ihr neuer Vorsitzender Detlef Wetzel sagte der Presse, er fordere den sofortigen Stopp der TTIP-Verhandlungen. Wetzel nannte die TTIP-Verhandlungen eine Bedrohung für Verbraucher und Beschäftigte und nannte das Abkommen „gefährlich“. Diese Aussage ist ein weiterer schwerer Schlag für TTIP[4].

ISDS und Bedrohung für die Demokratie

Die Europäische Kommission und die US-Verhandlungsführer sind entschlossen, ISDS in TTIP zu verankern und damit im Wesentlichen eine Grundrechte-Charta für Konzerne zu schaffen. Das ist ein Frontalangriff auf Grundlagen unserer heutigen Demokratie.[5] John Hilary schreibt: „ISDS hat beispiellose Konsequenzen, da es das transnationale Kapital auf den Rechtsstatus eines Nationalstaats erhebt. Durch TTIP würde US- und EU-Konzerne die Macht garantiert, demokratische Entscheidungen von souveränen Staaten anzugreifen.“[6]

ISDS bedroht jedoch nicht nur aktuelle oder frühere politische Regierungsentscheidungen im öffentlichen Interesse. Susan George weist darauf hin, dass ISDS die Zukunft gefährdet: „Was sie tun und was sie erreicht haben und was aus meiner Sicht besonders gefährlich ist, ist dass sie über die Zukunft sprechen… Die Art der Deregulierung, die wir mit diesen Verträgen bekommen, dereguliert nicht nur das Bestehende, sondern begrenzt auch, was man in Zukunft tun kann.“[7]

Darüber hinaus ist der Prozess der Verhandlungen über TTIP zutiefst undemokratisch. Konzerne haben das Abkommen seit vielen Jahren im Geheimen vorbereitet  in Strukturen wie dem Transatlantischen Wirtschaftsrat (TEC) und Business Europe. Sie haben sich aggressiv für Deregulierung in allen Bereichen der Wirtschaft und für ISDS eingesetzt.

Unter enormen öffentlichen Druck hat Handelskommissar De Gucht nun am 27. März eine online-Konsultation zum ISDS gestartet. Doch hier wird nur zum Schein nach Meinung gefragt. Handels-Aktivistin Pia Eberhardt brachte es in einer Pressemitteilung des Seattle-to-Brussels Netzwerks vom 27. März auf den Punkt: „Die Investor-Staat-Schiedssystem kann nicht gezähmt werden. Profitgierige Kanzleien und ihre Firmenkunden werden immer einen Weg finden, Länder für Maßnahmen zu verklagen, die ihre Gewinnerwartungen bedrohen. Die Super- Rechte der Konzerne gehören abgeschafft. Die Menschen in Europa sollten diese entscheidende Gelegenheit nicht verpassen, der Kommission zu sagen, dass sie genau das tun soll.“[8]

Der Kampf ist (nicht) erst am Anfang

TTIP wird präsentiert als Teil der Handelsabkommen der „nächsten Generation, High-Standard“, zusammen mit TPP, das zwischen Australien, Brunei, Chile, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam und den Vereinigten Staaten ausgehandelt wird. Manuel Perez Rocha erläutert: „Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass TTIP nicht nur direkte Auswirkungen auf die regulatorischen Standards der Menschen in Europa und den Vereinigten Staaten hätte, sondern auch für den Rest der Welt. Es ist eine weitere Version des Multilateralen Abkommens über Investitionen (MAI). Durch die TTIP werden die EU und die USA versuchen, dem Rest der Welt all das aufzuzwingen, was sie in regionalen Verhandlungen oder in der WTO nicht durchsetzen konnten.“

Die Europäische Kommission artikuliert ebenfalls deutlich, welche Ambitionen sie mit TTIP verfolgt, wie ein internes Dokument enthüllt: „Was wir verhandeln, wird nicht nur den Standard für unsere künftigen bilateralen Handels- und Investitionsbeziehungen definieren, sondern auch einen Beitrag leisten zur Entwicklung der globalen Regeln in Bereichen, in denen wir bislang nicht in der Lage waren, uns auf multilateraler Ebene zu einigen. Dies hat das Potential, zu einem einzigartigen Labor zu werden, in dem für die Lücken im multilateralen Regelwerk füllen und regulatorische Lösungen entwickeln können, die dann eine Grundlage für spätere Arbeiten auf multilateraler Ebene sein können.“[9]

In diesem Sinne muss der Widerstand gegen die von den Konzernen gelenkte Handelsagenda nicht nur in Europa und den USA verstärkt werden, sondern auch in anderen Regionen, die von den Operationen der Konzerne betroffen sind. Gegen TPP gibt es bereits nationale und regionale Kampagnen. Das Netzwerk Social Movements for an Alternative Asia ist zum Beispiel in dieser Kampagne sehr aktiv.

Dieser Kampf ist jedoch nicht neu. Kämpfe gegen den Freihandel und Investitionsabkommen und die ihnen innewohnende Stärkung der Rechte von Konzernen laufen schon seit mehr als 20 Jahren. Im Jahr 1994 kamen Organisationen aus Mexiko, USA und Kanada zusammen, um die Unterzeichnung des NAFTA abzulehnen. Fünf Jahre später, während der Schlacht von Seattle, wurde die weltweite Bewegung gegen den Freihandel und Investitionsabkommen parallel zur WTO-Ministerkonferenz ins Leben gerufen.

Im Jahr 1997 waren europäische Organisationen in der Lage, über die Bedrohungen  durch das Multilaterale Investitionsabkommen aufzuklären, das hinter verschlossenen Türen von den OECD-Ländern ausgehandelt wurde. Der nachfolgende öffentliche Aufschrei gegen die Stärkung der Investorenrechte zwang europäische Länder, das Projekt zu stoppen.

Ein emblematische Beispiel dieser Kämpfe kommt aus den Amerikas, wo Bewegungen aus allen Ländern der Hemisphäre eine breit angelegte Kampagne formen konnten, um das Free Trade Area of the Americas (FTAA ) zu stoppen. Im Jahr 2005, nach Jahren der Mobilisierung wurde FTAA in Mar del Plata in einer gemeinsamen Anstrengung mit den damals neuen Regierungen in Südamerika besiegt.

Trotz dieser bedeutenden Siege des Widerstandes der Bewegungen gegen die Erweiterung der Privilegien und die Strategien der Konzerne gibt es immer wieder neue Versuche, durch regionale und bilaterale Abkommen einen Handels-und Investitionsrahmen für Konzerne zu erschaffen. Der neue Push in der WTO bei der letzten Ministerkonferenz in Bali im Dezember 2013 und die laufenden Verhandlungen von TPP und TTIP sowie die Vorschläge für weitere bilaterale Investitionsabkommen sind Teil der gleichen Strategie zur Erhöhung der Privilegien und Profite der Konzerne auf Kosten der Bürgerrechte.

Die aktuelle Mobilisierung und die Kampagnen gegen TTIP, TPP und WTO sind wichtige Beispiele für anhaltenden und zunehmenden Widerstand. Diese Widerstände sind nicht nur Träger der Kritik am Freihandels- und Investorenschutzregime, sondern formulieren auch Alternativen. Diese finden sich in mehreren jüngsten Erklärungen sowie in Initiativen wie dem von einer Europäischen Allianz vorgeschlagene Alternativen Handelsmandat.[10]

Wir können aus den Erfahrungen früherer Kampagnen wichtige Lehren ziehen: Der Schlüssel zum Erfolg sind die Allianzen zwischen vielfältigen Organisationen. Beim Schmieden dieser neuen Allianzen ist es wichtig, gemeinsame Ziele und gemeinsame Strategien zum Stopp der Konzernagenda zu identifizieren. Doch die wahrscheinlich wichtigste Lektion ist, dass diese Abkommen besiegt werden können, wenn Organisationen und Bewegungen gemeinsam gegen die Herrschaft des Kapitals mobilisieren.

 

Weiterführende Literatur:

A Brave New Transatlantic Partnership, herausgegeben von Seattle to Brussels network, Oktober 2013. http://www.tni.org/briefing/brave-new-transatlantic-partnership?context=70931

A Transatlantic Corporate Bill of Rights, herausgegeben von Seattle to Brussels, Corporate Europe Observatory & Transnational Institute, Oktober 2013. http://www.tni.org/briefing/transatlantic-corporate-bill-rights?context=70931

No Fracking Way: how the EU-US trade agreement risks expanding fracking, herausgegeben von ATTAC, the Blue Planet Project, Corporate europe Observatory, Friends of the Earth Europe, Power Shift, Sierra Club, Transnational Institute, März 2014. http://www.tni.org/briefing/no-fracking-way?context=70931

 

Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Schneider.

Lyda Fernanda und Brid Brennan arbeiten im Economic Justice Programme des Transnational Institute, Amsterdam. Sie erreichen die Autorinnen über: bridbrennan@tni.org

 

[1] http://www.osgoode.yorku.ca/public_statement

[2] http://www.s2bnetwork.org

[3] http://www.citizenstrade.org/ctc/ 

[4] http://www.pressenza.com/2014/03/trade-unions-oppose-ttip-eu-us-free-trade-agreement/

[5] Aktuelle Fallbeispiele finden Sie hier: Pia Eberhardt und Cecilia Olivet, Profiting from Injustice: How Law Firms, Arbitrators and Financiers are Fuelling an Investment Arbitration Boom, Amsterdam: Corporate Europe Observatory und Transnational Institute, 2012. Sowie in John Hilary, The Poverty of Capitalism: Economic Meltdown and the Struggle for what comes next, London: Pluto Press, 2013, Chapter 3.

[6] John Hilary, ‘The Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) – A charter for deregulation, an attack on jobs, an end to democracy’. Ed. Rosa Luxemburg Stiftung Büro Brüssel, 2014

[7] http://www.abc.net.au/news/2013-08-28/george-democracy-in-danger-the-rise-of-illegitimate-authority/4917518

[8] http://corporateeurope.org/pressreleases/2014/03/campaigners-slam-commission-mock-consultation-investor-rights-eu-us-trade-deal

[9] Europäische Kommission. Durchgesickertes internes Schreiben von Denis Redonnet (Abteilungsleiter Handelsstrategie in der Generaldirektion Handel) an den Handelspolitik Ausschuss des Europäischen Rates. Strategic economic dimensions of the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). 25 März 2013. Veröffentlicht in: Seattle to Brussels Network, A Brave New Transatlantic Partnership, Oktober 2013.

[10] http://www.alternativetrademandate.org/