TTIP: Wird die Re-Regulierung der Finanzmärkte im Keim erstickt?
Von Jürgen Klute und Karsten Peters
Bankentrennung, höhere Eigenkapitalvorschriften, schärfere Regeln für den Hochfrequenzhandel, die Eindämmung der Nahrungsmittelspekulation: auf beiden Seiten des Atlantiks wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Vorschriften erlassen, die die nächste Finanzmarktkrise verhindern sollen. An vielen Stellen gehen die neuen Regeln nicht ansatzweise weit genug – dennoch sind sie ein deutlicher Schritt nach vorn.
Allerdings, und das macht Finanzmarktregulierung zu einem wichtigen Thema bei den Verhandlungen über die Transatlantische Freihandelszone, sind die Vorschriften in der EU und den USA alles andere als deckungsgleich. Während einige der Regeln im Ergebnis zwar ähnlich sind, aber auf verschiedenen Wegen zum Ziel führen, unterscheidet sich an anderen Stellen der Fortschritt der Umsetzung der Neuregulierungen. Und in einigen wichtigen Bereichen sehen die US-Behörden deutlich schärfere Vorschriften vor als ihre EU-Pendants.
Von diesen Risiken und Unterschieden wissen selbstverständlich auch die Verhandlungsführer aus Brüssel und Washington, allerdings sind sie sich im Umgang damit alles andere als einig. Während die EU-Kommission darauf besteht, die Finanzmarktregulierung mit in das Transatlantische Freihandelsabkommen aufzunehmen, leistet Michael Froman, Verhandlungsführer der USA, erbitterten Widerstand: Nach seinen Vorstellungen soll das Abkommen zwar einerseits den Zugang zum Markt des Handelspartners sicherstellen, die Regulierungen der Finanzmärkte sollen von den TTIP-Verträgen aber unberührt bleiben. Denn in der US-Regierung wird befürchtet, dass amerikanische Finanzmarktunternehmen die gegenseitige Anerkennung der Vorschriften nutzen könnten, um bislang schärfere US-Vorschriften zu umgehen.
So will etwa die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ausländische Banken in den USA verpflichten, für ihre US-Töchter Eigenkapital zu hinterlegen, das europäische Mutterkonzerne dann nicht mehr in die Berechnung der Eigenkapitalanforderungen heranziehen könnten.
Durch diese Anforderung will die US-amerikanische Zentralbank verhindern, dass Eigenkapital einer ins Schwanken geratenen Bank zur Stützung eines Geschäftszweigs genutzt wird, dann aber nicht mehr zur Verfügung steht, um die US-Niederlassung zu stabilisieren. Gleichzeitig hält die US-Aufsicht auch ein Auge auf Geschäfte, die heimische Banken in ausländischen Niederlassungen machen.
Beides stößt bei den betroffenen Banken diesseits und jenseits des Atlantiks, bei der EU-Kommission und bei europäischen Regierungen auf heftige Gegenwehr: Die europäischen Offiziellen fühlen sich in ihrem Regulierungsbemühen von den USA nicht ernst genommen, wenn die US-Behörden ihre eigenen Regeln offensichtlich für die besseren halten. Die amerikanischen Finanzinstitute wittern die Chance, über das TTIP zumindest einen Teil der unbequemen neuen Vorschriften zu umgehen. Die europäischen Institute dagegen suchen nach Schlupflöchern um den zusätzlichen Kapitalaufwand zu vermeiden, den sie derzeit für Geschäfte in den USA aufbringen müssen.
Deren natürlicher Verbündeter ist der europäische Verhandlungsführer in der EU-Kommission. Handelskommissar Karel De Gucht formuliert einen „ständigen Regulierungsrat“ als Ziel, das bei den Verhandlungen zum Partnerschaftsabkommen vereinbart werden soll.
Im Kern geht es bei dieser Formel um die gegenseitige Anerkennung der Regelwerke beiderseits des Atlantiks. Nach Vorstellung der EU-Kommission sollen die Aufseher Schritt für Schritt gemeinsam eine konsistente Finanzmarktregulierung auf hohem Niveau entwickeln. Trotzdem solle die Formulierung gesetzlicher Vorschriften für die Finanzmärkte in den Händen der jeweiligen Gesetzgeber verbleiben. Allerdings soll per TTIP vereinbart werden, dass vonseiten der Aufsichten der beiden Partner keine Vorschriften beschlossen werden, die Gesetzgebung und Rechtsprechung des anderen unangemessen beeinträchtigen könnten. Und selbstverständlich sollen nach dem Willen De Guchts keine unnötigen Handelshemmnisse entstehen. Was allerdings ein „unnötiges Handelshemmnis“ ist oder wie genau eine unangemessene Beeinträchtigung der Gesetzgebung aussehen könnte, verrät die Kommission bislang nicht.
Es ist durchaus denkbar, dass dann etwa die gerade beschlossenen Positionslimits zur Bekämpfung von Nahrungsmittelspekulation von der US-Seite zum Handelshemmnis erklärt würden. Denkbar auch, dass die ebenso neue Möglichkeit der EU-Aufsicht, riskante Finanzmarktprodukte vorsorglich, also noch bevor sie auf den Markt kommen, zu verbieten, könnte über das Abkommen angegriffen werden. Bei einer auf Antrag der Linksfraktion im März 2014 organisierten Anhörung im Europäischen Parlament verwahrten sich zwar Vertreter der Europäischen Kommission gegen derlei Nachfragen von Abgeordneten, blieben aber ebenso den Beweis des Gegenteils schuldig. Das ungefähre Versprechen, man würde sicherlich darauf achten, dass das TTIP sich nicht zur Deregulierungsspirale entwickle, musste ausreichen – schließlich dürfen auch die Abgeordneten nicht viel mehr erfahren als alle andere.
Daneben tut sich aber noch eine andere, sehr viel grundsätzlichere Frage auf: Das ausgerufene Ziel des Freihandelsabkommens ist die Schaffung neuer Wachstumsimpulse – Wachstum also auch im Bereich der Finanzdienstleistungen. Bei allem Zweifel daran, ob der Wegfall aktueller Handelsbarrieren tatsächlich zu den kalkulierten Wohlstandsgewinnen führen kann, stellt sich für die Finanzbranche noch eine andere Frage. Denn eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vom Juli 2012 kommt zu dem Schluss, dass die Zunahme von Finanzdienstleistungen in entwickelten Ökonomien – und dazu dürften sowohl die EU als auch die USA zählen – tendenziell zu Lasten der Entwicklung der Realwirtschaft und des gesamtwirtschaftlichen Wachstums führt. Für Menschen, die Jörg Huffschmidt gelesen haben, ist diese Erkenntnis alles andere als eine Überraschung – allerdings ist die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich kein Think Tank linker Ökonomen, sondern ein Gremium aus 60 Notenbanken weltweit, das mit dem Baseler Ausschuss auch für die Eigenkapitalvorschriften und Aufsichtsregeln verantwortlich ist.
Nimmt man noch das zusätzliche Risiko spekulativer Blasen an den Finanzmärkten einschließlich deren zwangsläufiger Zusammenbrüche hinzu, sollte es einleuchten, dass die weitere Aufblähung der Finanzmärkte alles andere als ein sinnvolles politisches Ziel sein kann. Neben den ökonomischen Erwägungen spricht noch ein weiterer Grund gegen den Ansatz der EU-Kommission zur Aufnahme des Finanzsektors in die Freihandels-Agenda. Denn selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass TTIP nicht zu einer Senkung der Standards bei der Finanzmarktregulierung führt, sondern dass die Aufseher gemeinsam ein „wirkungsvolles und kohärentes“ Regulierungsniveau herbeiführen könnten, so hätten diese Regeln Ausstrahlungskraft weit über die transatlantische Freihandelszone hinaus. Angesichts der Dominanz der Handelsblöcke im Finanzbereich stünden die gemeinsamen Regeln Pate für internationale Vorschriften – ohne dass der Rest der Welt an deren Zustandekommen beteiligt gewesen wäre. Aus linker Sicht sollten internationale Vorschriften eben international verhandelt werden, und nicht von zwei selbst ernannten Vorreitern.
Summa summarum bietet das TTIP gefährlich viele Einfallstore, um eine wirksame Finanzmarktregulierung zu unterlaufen. Deregulierung per Vertrag, transatlantische Rosinenpickerei auf der Suche nach den billigsten Vorschriften und die weitere Aufblähung der Märkte – all das hat nichts mit den versprochenen Chancen für Jobs und Wirtschaftswachstum zu tun. Die Freihandels-Agenda à la De Gucht muss deshalb verhindert werden!