Damit alles bleibt, wie es ist: welche Zukunft für den EU-Haushalt?
Leitartikel von Jürgen Klute und Hanna Penzer
Spätestens im Herbst dieses Jahres steht der EU erneut ein Tauziehen ums Geld bevor. Einiges wird uns bekannt vorkommen. Wieder sind es die Regierungen in Berlin, Amsterdam und Helsinki, die ihre Pfründe verteidigen wollen. Doch dieses Mal geht es nicht um die Bereitschaft der Regierungen, mehr oder weniger schnell und entschieden Hilfspakete für ihre Nachbarländer oder kriselnde Finanzinstitute zu schnüren. Dieses Mal geht es um nichts mehr oder weniger als um die Finanzierung des europäischen Projektes als Ganzes. Bis Ende des Jahres muss über die Zukunft des EU-Haushalts entschieden werden, genau gesagt über den neuen von 2014 bis 2020 geltenden Finanzrahmen der Europäischen Union. Doch wovon reden wir eigentlich genau, wenn wir über den Haushalt der europäischen Gemeinschaft reden?
Der EU-Haushalt unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Budgets, die auf nationaler oder kommunaler Ebene erstellt werden. Stichwort Einnahmen: Um ihre Programme und Politiken durchzuführen, sind die EU-Institutionen auf Zuwendungen der Mitgliedsländer angewiesen. Drei Viertel aller Finanzmittel des EU-Haushalts werden aus den nationalen Hauptstädten überwiesen. Ein weiteres Viertel nimmt die EU-Kommission eigenständig ein: Dabei handelt es sich um Zölle, Einkommenssteuern der EU-Beschäftigten, einen Anteil der Mehrwertsteuer sowie um Strafzahlungen von Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsregeln des Binnenmarktes verstoßen haben, etwa durch die Bildung eines Kartells. Der geringe Anteil eigenständiger Einnahmen macht die Europäische Union immer wieder zum Spielball egoistisch-nationalistischer Ränkespiele. Journalisten und Finanzminister rechnen auf, welche Länder stärker von EU-Programmen profitieren als das eigene Land, wer zum Club der Nettozahler und wer zur Gruppe der Nettoempfänger zählt.
Apropos Empfänger: Wofür werden die Mittel des EU-Haushalts verwendet?
Mit einem Drittel aller Gelder werden Betriebe in der europäischen Landwirtschaft und Fischerei gefördert. Der Hintergrund ist recht simpel: Die Europäisierung der Agrarpolitik wurde bereits vor mehr als fünfzig Jahren begonnen und ist heute so weit fortgeschritten wie kaum ein anderer Politikbereich. Zu den kleineren Posten im EU-Haushalt gehören dagegen die Bereiche Justiz und innere Sicherheit (derzeit 1 % aller Ausgaben), Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit (6 %) sowie Verwaltungskosten, Ausgaben für Gehälter und Gebäude aller EU-Institutionen (6 %) mit inbegriffen.
Ein weiterer Löwenanteil des EU-Budgets fließt in Programme, die Wachstum, Beschäftigung und gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern sollen. Forschungsprojekte und andere Investitionen zur Modernisierung der Wirtschaft sind der EU derzeit 9 % aller Ausgaben wert. Weitere 36 % des EU-Haushalts fließen in Regionen, die einen besonders großen Aufholbedarf haben, um Anschluss an die Wohlstandsentwicklung der stärkeren Regionen Europas zu finden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Verhandlungen über den europäischen Gemeinschaftshaushalt Stoff für Eifersüchteleien und Machtspielchen bieten. Weil auf EU-Ebene aber Projekte gestemmt werden, die innerhalb eines Haushaltsjahres nicht durchzuführen sind – angefangen vom Ausbau europäischer Eisenbahnverbindungen bis zur Erforschung neuer Technologien –, sollen mehrjährige Haushaltsrahmen Planungssicherheit bieten. Doch über ein vernünftiges Maß an Planungssicherheit hinaus zwingen die geltenden Regeln des Haushaltens die EU-Institutionen in ein starres Korsett, das der Baustelle Europa so gar nicht gerecht wird!
Ein Blick zurück genügt, um dies zu verdeutlichen: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Mitgliedstaaten von 15 auf 27 beinahe verdoppelt. Im Sommer dieses Jahres begrüßt die Union mit Kroatien bereits das 28. Mitgliedsland. Damit nicht genug der Neuerungen: 2009 – mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags – wurde mit dem kompletten Neuaufbau eines gemeinsamen diplomatischen Dienstes begonnen. Seit 2011 sollen drei neue Aufsichtsbehörden alle in der Union ansässigen Banken, Versicherungen und Börsen überwachen, um den Ausbruch neuer Finanzkrisen zu verhindern. Und nicht zuletzt sollen die Beamten der EU-Kommission neuerdings die Haushalts- und Wirtschaftspolitiken im Euroraum koordinieren und über empfindliche Strafzahlungen bei Verstößen gegen die neuen Regeln der finanzpolitischen Steuerung entscheiden.
Wie viele Mittel die Gemeinschaftsinstitutionen zur Bewältigung all dieser Aufgaben im Jahr 2013 verwenden dürfen, wurde allerdings bereits 2006 beschlossen, als selbst größte Pessimisten die Verwerfungen der aktuellen Krise nicht vorauszusehen wagten. Trotz der Unabwägbarkeiten einer hochkomplexen und denkbar ausdifferenzierten Gemeinschaft maßen sich die europäischen Regierungschefs an, für jedes einzelne Haushaltsjahr detaillierte Ausgabengrenzen festzulegen, an denen selbst sieben Jahre später nicht gerüttelt werden darf. Wird in einem Jahr weniger Geld zur Förderung der Landwirtschaft benötigt, dürfen die Mittel weder für das Folgejahr zurückgestellt noch in eine andere Haushaltssäule – beispielsweise für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit – verschoben werden. Jeder Cent, der am Ende eines Haushaltsjahrs nicht wie geplant ausgegeben wurde, fließt zurück in die Töpfe der Geberländer. Ohne jede Chance, Rücklagen aufzubauen, wird bereits eine einfache, nicht eingeplante Gebäuderenovierung zur Herkulesaufgabe.
Damit nicht genug: Während jede Kommune zur Finanzierung unvorhergesehener Ausgaben einen Kredit aufnehmen kann, verbieten die EU-Verträge jegliche Form der Schuldenaufnahme durch die Gemeinschaftsinstitutionen. Das Verbot wird alles andere als leichtfertig gehandhabt: Jedes Konto jeder EU-Institution muss am Ende eines Geschäftstages mit mindestens einem Euro gedeckt sein.
So schwierig die Logik hinter den beschriebenen Regeln nachvollziehbar sein mag – die Folgen eines zu dürftig ausgestatteten und zu starren Finanzrahmens sind recht simpel. Nicht anders als ein unterbezahlter Minijobber oder eine alleinerziehende Erwerbslose muss auch die EU-Kommission fällige Zahlungen regelmäßig aufschieben, bis die Mitgliedsländer Gelder nachgeschossen haben. Landwirte, Forschungsprojekte, Beamte, Geschäftspartner, Entwicklungshilfeprojekte und Studenten im Auslandssemester warten dann auf Zuwendungen, die „Europa“ ihnen vertraglich zugesichert hatte. Seit 2010 schiebt die EU so nun bereits Rechnungen von einem Jahr ins nächste. Jahr um Jahr werden aus den Hauptstädten Notgroschen in Form von Nachtragshaushalten nachgeschossen, doch noch jedes Jahr mussten erhebliche Milliardenrückstände mit ins neue Haushaltsjahr verschoben werden. Im vergangenen Jahr war die Union bereits Ende Oktober so gut wie zahlungsunfähig.
Dieses Jahr wird das Pokerspiel um die Zukunft der EU wohl auf die Spitze getrieben. Nach dem geltenden Angebot der Regierungschefs, das das EU-Parlament im März zurückgewiesen hat, soll bei der Finanzierung der Union alles beim Alten bleiben. Lediglich ein wenig sparen soll Brüssel. Die „magische Grenze“ von einem Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung als Gesamtvolumen des EU-Haushalts müsse in jedem Fall unterschritten werden, wiederholt Merkel unablässig. Das Vorbild für das Europa im Jahr 2020 ist das Europa im Jahr 2000. Sollte die Kanzlerin es nicht schaffen, die Zeit für die kommenden sieben Jahre anzuhalten, wird daraus ein gewagter Plan!