Solidarität statt Konkurrenz

von Thomas Händel

 Europa droht in wirtschaftlicher Depression und sozialer Ungleichheit zu versinken. Die Arbeitslosenquote lag im August 2012 bei 10,5 Prozent und markiert damit den höchsten Stand seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaft. Gerade junge Menschen sind von den Folgen der Krise weit überdurchschnittlich betroffen: Europaweit sind 22,7 Prozent, im krisengeschüttelten Griechenland gar mehr als die Hälfte aller jungen Menschen ohne Job. Rund 14 Mio. jungen Menschen unter 30 Jahren in Europa verwehrt man Zukunftsperspektiven und Lebenschancen.   Da reicht es nicht, Wachstum zu predigen, konjunkturstimulierende Programme aufzulegen und so weiterzumachen wie bisher. Bleibt es bei der bisherigen Politik, ist die Forderung nach einer „Wirtschaftsregierung“ nicht mehr als ein neues Türschild für eine weitere neoliberale Institution – dann allerdings mit autoritäreren Möglichkeiten des „Durchregierens“.   Notwendig ist eine solidarische Europapolitik, die neue „Gute Arbeit“ schafft, von der sich eigenständig und armutsfrei leben lässt. Notwendig ist die Entwicklung eines integrierten Konzepts demokratisch kontrollierter wirtschaftlicher Zukunftsentwicklung für Europa, das bestehende Elemente von Industrie- und Dienstleistungspolitik, von Struktur- und Kohäsionspolitik einschließt, auf ihnen aufbaut und sie in wesentlichen Teilen ergänzt. Notwendig ist ein „Marshallplan“ der auch die Reichen zur Finanzierung des Schuldenabbaus und der Zukunftsinvestitionen in die Gesellschaft heranzieht.   Die künftige Wirtschaftsentwicklung Europas darf nicht – wie von der S&D-Fraktion im EP gefordert – einer Task-Force aus der EU-Kommission überlassen werden. Betrachtet man die Ergebnisse der Troika-Politik in Irland, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, macht man damit den neoliberalen Bock zum Gärtner.

Heute müssen die Mitgliedstaaten der EU an ihre eigenen schriftlichen Verabredungen erinnert werden: die Verpflichtung zur Sozialstaatlichkeit und langfristigen Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Auch das steht in den Verträgen. Das geht nur mit der grundlegenden Neudefinition europäischer Entwicklungsmodelle. Eine Schlüsselrolle dabei spielt die Industriepolitik. Dabei darf es nicht um internationale Konkurrenzfähigkeit gehen. Dabei geht es um eine europäische Entwicklungspolitik, die auch die Länder Europas in die Lage versetzt, Arbeit zu schaffen. Einige Länder werden wohl noch sehr lange auf Importe von Investitionsgütern angewiesen sein. Diese ohne Staatsverschuldung mit eigenen Einkommensquellen – Gütern und Dienstleistungen mit Handels- respektive Marktpotenzial – zu finanzieren, wäre die Aufgabe einer integrierten und solidarischen europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Industriepolitik. Und das geht nur mit einer Neubegründung Europas und erheblich mehr Demokratie.