»Airport Package« gestoppt
Liberalisierungspläne für Flughafen-Bodendienste im Verkehrsausschuß des Europaparlaments nach Gewerkschaftsprotesten ausgebremst.
Einen Etappensieg in einer jahrelangen Auseinandersetzung verzeichneten die europäischen Verkehrsgewerkschaften in der vergangenen Woche. Am Dienstag lehnte der Verkehrsausschuß des Europaparlaments mit 22 zu 20 Stimmen bei zwei Enthaltungen den Vorschlag der EU-Kommission ab, die Bodendienste an den Verkehrsflughäfen weiter zu liberalisieren.
Einen Tag zuvor hatten über 2500 Beschäftigte von Flughafengesellschaften und Abfertigungsunternehmen aus Frankfurt am Main, Berlin, Bologna, Bremen, Brüssel, Düsseldorf, Hahn, Hamburg, Hannover, Köln, Kopenhagen, London, Luxemburg, Madrid, München, Nürnberg, Paris, Rom, Saarbrücken, Stuttgart, Sofia und Wien in unmittelbarer Nähe des Brüsseler Parlaments gegen die Pläne der EU-Kommission demonstriert. Dazu aufgerufen hatten die Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) und ihre Mitgliedsorganisationen. Diese Mobilisierung war ein vorläufiger Höhepunkt monatelanger Aktivitäten. Bereits im Juni 2011 hatten ver.di-Mitglieder vom Frankfurter Rhein-Main-Flughafen bei einer internationalen Gewerkschaftsdemonstration in Luxemburg mit Transparenten ihre Kritik an den Liberalisierungsplänen ausgedrückt.
Mit dem Abstimmungserfolg im Verkehrsausschuß hätten die Verfechter eines verschärften Lohn- und Sozialdumpings auf europäischen Flughäfen einen Dämpfer erhalten, freute sich auch Sabine Wils von der europäischen Linksfraktion GUE-NGL: »Nach diesem ersten Nein kommt es aber darauf an, die entscheidende Ablehnung des Kommissionsvorschlags im Plenum des Europaparlaments zu erreichen.« Dies könne aber nur bei einer Fortführung der Proteste auf den europäischen Flughäfen gelingen, mahnte Wils die Gewerkschafter zu weiteren Aktivitäten. Die entscheidende Plenarsitzung des EU-Parlaments soll Mitte Dezember stattfinden. Dabei wird der Beschluß des Verkehrsausschusses zur Abstimmung stehen. Wils verlange eine »Abkehr von der selbstzerstörenden EU 2020-Strategie, die Deregulierung, Liberalisierung und Austeritätspolitik zugunsten der Profite vorschreibt«.
Mit der Ablehnung einer weiteren Verschlechterung »haben wir aber noch keine Besserung der schlechten Situation an den europäischen Flughäfen erreicht«, heißt es auch in einer aktuellen Publikation der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di: »Wir werden auf jeden Fall weiteren Druck auf den Rat, also die Regierungen, und auf die Kommission ausüben müssen, um endlich europäische Regelungen zu erhalten, welche gute Arbeitsbedingungen sichern.« Die ETF forderte von der EU-Kommission einen neuen Vorschlag ohne weitere Deregulierung, der die Interessen der Beschäftigen schützt und die Bindung an Tarifverträge vorschreibt.
Die Auseinandersetzung um die Bodendienste hatte bereits Mitte der 1990er Jahre begonnen. Seither schreibt eine EU-Richtlinie vor, für Gepäck-, Fracht- und Postabfertigung sowie Vorfeld- und Betankungsdienste auf Verkehrsflughäfen mindestens zwei Abfertiger zuzulassen. Der neue, vorerst ausgebremste Vorstoß der EU-Kommission wollte die Mindestzahl der Abfertiger für größere Flughäfen auf drei heraufsetzen und einen grundsätzlich unbegrenzten Marktzugang ebenso vorschreiben wie den Zwang zur vollständigen Trennung der Bodendienstunternehmen von den Flughafenbetreibern. Außerdem sollte den Dienstleistern gemäß Kommissionsvorschlag ausdrücklich die Untervertragsvergabe gestattet werden.
Daß dies bei den Beschäftigten Empörung provozieren mußte, zeigt ein Blick auf den Ist-Zustand. Wie auch in anderen Bereichen ging die Marktöffnung und Privatisierung mit massivem Lohn- und Sozialdumping einher und steigerte den Kostendruck auf Flughafenbetreiber und ihre Tochterunternehmen. So wurden bestehende Tarifverträge ausgehöhlt und gehören Tarifflucht und Leiharbeit mit Stundenlöhnen deutlich unter 8,50 Euro vielerorts zum Alltag. Ein Beispiel von vielen: Am Nürnberger Flughafen gelten nach ver.di-Angaben für 300 von 520 Beschäftigten Löhne bis zu 8,20 Euro. Bundesweit arbeiten 40 Prozent der Bodendienstler für Stundenlöhne von 7,00 bis 8,70 Euro, beklagt Ingo Kronsfoth, ver.di-Bundessekretär für die Luftfahrt.
In der gesamten Branche verzeichnete die Gewerkschaft seit 1996 einen Reallohnverlust von durchschnittlich mehr als 20 Prozent. Viele Beschäftigte sind als Aufstocker auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen, viele leiden an psychosomatischen Krankheiten. Mit dem Kostendruck sinkt auch das Ausbildungs- und Qualitätsniveau der Abfertiger und ist zudem die Sicherheit im Luftverkehr gefährdet, warnen Gewerkschafter. Zudem hemme mehr Wettbewerb zwischen Bodendiensten den Betriebsablauf und verschwende Ressourcen, so der Betriebsratsvorsitzende Edgar Stejskal vom Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport.