Lothar Bisky im Interview: „Europäisches Jahr des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen“

1)  Sehr geehrter Herr Prof. Bisky, mit Beschluß  des Europäischen Parlaments vom 7. Juli 2011 wurde für 2012 das “Europäische Jahr des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen” ausgerufen. Was sind die Hauptziele dieses “Europäischen Jahres”?

Das Europäische Jahr des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen hat eine ganze Reihe von ambitionierten Zielstellungen: Die Anerkennung und Wertschätzung für die Leistungen älterer Menschen soll gesteigert, Altersdiskriminierung im Alltag und im Arbeitsleben bekämpft, Solidarität, Zusammenarbeit und Zusammenleben der Generationen gefördert werden. Gleichstellung von Frauen und Männern soll dabei ebenfalls stets mitgedacht werden. Die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und familiären Leben bei guter Gesundheit und in Würde soll unterstützt werden. Auch steht das Ziel, Altersarmut und daraus resultierende soziale Ausgrenzung, wobei Frauen leider oft besonders betroffen sind, zu vermeiden. Auch werden Partnerschaften für „altersgerechte Städte“ gefördert. Diese und weitere Ziele in sozialen und kulturellen Bereichen sind uneingeschränkt unterstützenswert. Probleme sehe ich dann, wenn „aktives Altern“ meint, längere Lebensarbeitszeit verpflichtend (und nicht nur freiwillig) einzuführen. Und natürlich ist noch nichts darüber gesagt, wie genau Altersarmut bei Beschäftigten im Niedriglohnsektor, bei steigenden Gesundheits- und anderen Lebenshaltungskosten verhindert werden soll. Diese sozialpolitischen Fragen sind zwar mehrheitlich Sache der EU-Mitgliedstaaten – aber ein paar mehr konkrete Vorschläge von der EU-Ebene hätten sicher nicht geschadet.  

2) Wie ist die sozialökonomische Lage der Senioren/Rentner in den Mitgliedsländern der EU im Vergleich mit Deutschland?  

Die Wirtschafts- und Finanzkrise trifft bekanntlich einige Länder – wie Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, Irland – besonders hart. Am meisten leiden unter der Krise und unter der – falschen – extremen Sparpolitik die sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen. Dazu gehören auch Rentner und ältere Arbeitnehmer: Wo Löhne gekürzt werden, sinken Rentenbeiträge und dann die Rentenansprüche. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie unfreiwillige Teilzeit, befristete Arbeitsverträge, erzwungene Schein-Selbständigkeit verstärkten diesen Effekt. Auch direkt bei den Renten wird inzwischen massiv gekürzt. Wenn dann noch den Kommunen die Mittel für öffentliche Dienstleistungen wie ÖPNV, Kultur oder den Ausbau von  Telekommunikationswegen fehlen, schränkt das gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten leider massiv ein, nicht nur für Ältere. Eine ausreichende private finanzielle Alterssicherung haben heute nur die Wenigsten und können sich viele auch in der jüngeren Generation nicht leisten. In Deutschland sind wir bei allen schon existierenden Problemen noch vergleichsweise besser dran. Aber die falsche Richtung, in die die Kürzungs- und Privatisierungspolitik läuft, trifft über kurz oder lang die Menschen in allen EU-Mitgliedstaaten.  

3) Wie trägt das Europa Parlament zu Ausgestaltung dieses “Europäischen Jahres” in den einzelnen Mitgliedsländern bei? Im Europaparlament fand im November 2011 die Eröffnungskonferenz für das Europäische Jahr des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen“ statt. Die linke niederländische Abgeordnete Kartika Liotard war dabei eine der Schirmherrinnen. Sie ist auch u. a. für die Präsentation des Europäischen Jahr des aktiven Alterns während der Tage der offenen Tür im Europaparlament verantwortlich. Darüber hinaus ist sie die Präsidentin der Intergruppe „Altern und Solidarität zwischen den Generationen“; diese Intergruppe besteht über das Jahr 2012 hinaus im Europaparlament.   Der Ausschuss der europäischen Regionen (in dem z. B. Vertreter der Bundesländer vertreten sind) hat im Februar 2012 ein „Forum aktives Altern“ veranstaltet. Auch hier haben linke Abgeordnete teilgenommen und besonders die sozialen Erfordernisse für würdiges Altern hervorgehoben. Im Europaparlament ist eine Erklärung für die Förderung nach altersgerechten Lebensbedingungen eingebracht worden und es folgen sicherlich weitere politische Initiativen im Verlauf der Jahres.  

4) Wissen Sie, welche Maßnahmen die Bundesregierung  zur Gestaltung des “ Europäischen Jahres” beschlossen hat? Die Bundesregierung unterstützt nach eigenen Angaben 46 Projekte die in Deutschland bzw. in Kooperation mit deutschen Partnern hier und in anderen Ländern stattfinden. Darunter sind Bildungs-, Beratungs- und Informationsveranstaltungen, Ausstellungen, Senioren-Netzwerke, Nachbarschaftshilfe, kulturelle Projekte u. a. Informationen zu den einzelnen Projekten finden sich auf folgender Internetseite: http://www.ej2012.de/projekte/suchen.html  

5) In Deutschland gibt es zwei unterschiedliche Rentenwerte. Gibt es in einem EU-Mitgliedsland  auch eine solche Zweiteilung; die doch eine Diskriminierung  für die Betroffenen darstellt?

Meines Wissens gibt es das in keinem anderen Mitgliedstaat der EU.

Dieses Interview ist in Ausgabe 02/2012 der Köpenicker Seniorenzeitung erschienen

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