Analyse und Bewertung des gegenwärtigen Zustandes der Schiffssicherheit Studie

Studie im Auftrag der Delegation DIE LINKE in der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament

Im Auftrag der Delegation DIE LINKE im Europaparlament hat das Institut für

Entwerfen von Schiffen und Schiffssicherheit der TU Hamburg-Harburg

grundlegende Untersuchungen zum gegenwärtigen Stand der Schiffssicherheit

durchgeführt. Dabei sollte auch die Frage untersucht werden, ob sich durch – als

sinnvoll erkannte – Verbesserungen Möglichkeiten zur Sicherung der Arbeitsplätze in

der europäischen Schiffbauindustrie ergeben könnten. Unsere Untersuchung hierzu

hat verschiedene Ansatzpunkte ergeben, die im Folgenden zusammengefasst

werden.

 

Die Schiffssicherheit bleibt konzeptionell in ihren Möglichkeiten deutlich hinter dem

Stand der Wissenschaft zurück. Das Problem liegt darin, dass risikobasierte

Sicherheitskonzepte von der internationalen Regelentwicklung nur sehr zögerlich

aufgenommen werden. Propagiert wird durch die Regeln eher die direkte Vorgabe

von Hardware oder von physikalischen Eigenschaften. Dadurch entsteht für die

Schiffbauindustrien der hoch entwickelten Industriestaaten ein Wettbewerbsnachteil,

weil intelligentere Sicherheitskonzepte, die letztlich zu deutlich wirtschaftlicheren und

sichereren Schiffen führen würden, nicht durchsetzbar sind. Dass risikobasierte

Sicherheitskonzepte sich international nicht durchsetzen lassen, liegt auch an der

Struktur der für die Sicherheit zuständigen Organisationen: Dort ist nicht bei allen

Organisationen das technische Wissen vorhanden, um solche komplexen

Berechnungen überhaupt prüfen zu können.

 

Die gegenwärtige Struktur der Schiffssicherheit benachteiligt die hoch entwickelten

Volkswirtschaften zugunsten der schiffbaulichen Schwellenländer. Praktisch die

gesamten Beiträge zu Schiffssicherheitsfragen werden von den hoch entwickelten

Industrieländern geleistet, insbesondere von Europa. Hier werden erhebliche

Steuermittel der Bürger für die Forschung aufgewendet. In den schiffbaulichen

Schwellenländern findet hierzu aber quasi keine Forschung statt. Über die

internationalen Regelwerke werden komplexe Forschungsergebnisse auf einfachste

Regeln heruntergebrochen und weltweit verteilt, gerade an die Schwellenländer.

Diese wiederum lehnen alle Verbesserungen von Regeln ab, wenn sie mit erhöhtem

Berechnungsaufwand verbunden sind. Daher erhält der europäische Steuerzahler

letztlich für seinen Einsatz keinen adäquaten Gegenwert und verhilft den

schiffbaulichen Schwellenländern dazu, hier den industriellen Kern der

Schiffbauindustrie zu zerstören.

 

Bau und Betrieb technischer Investitionsgüter mit hohen technischen und finanziellen

Risiken bedürfen gewisser staatlich festgesetzter Mindeststandards, die auch

staatlich überwacht werden müssen. Die gegenwärtige Struktur der Schiffssicherheit

bringt es mit sich, dass hoheitliche Fragen an Klassifikationsgesellschaften

übertragen werden, die zum Teil privatwirtschaftlich arbeiten und einem Wettbewerb

unterliegen.

Grundsätzlich ist das vielleicht nicht zu beanstanden, es muss aber

sorgfältig darauf geachtet werden, dass bei den Klassifikationsgesellschaften keine Zielkonflikte entstehen. So müssen beratende und prüfende Aufgaben streng

getrennt werden, und es darf nicht sein, dass Klassifikationsgesellschaften selbst in

die Konzeption von Schiffen einsteigen, die dann in Billigländern gebaut werden. Hier

muss staatlicherseits gegebenenfalls gegengesteuert werden, um sicherzustellen,

dass hoheitliche Aufgaben auch ausschließlich den hoheitlichen Belangen dienen.

Das mit Billigschiffen verbundene Sicherheitsrisiko muss angemessen bewertet

werden. Nach unseren Recherchen findet bei der Prüfung der Sicherheitsunterlagen

keine oder nur eine unzureichende Gebührenstaffelung entsprechend der

Kompetenz der bauenden Werft statt. Es ist aber einleuchtend, dass eine Werft,

welche einen sehr hohen Qualitätsstandard beim Bau der Schiffe und bei den

technischen Unterlagen hat, einen geringeren Prüfaufwand bei gleichem Risiko nach

sich zieht als eine Billigwerft mit erkennbaren Qualitätsmängeln. Wenn es keine

entsprechende Staffelung der Prüfgebühren gibt, dann subventionieren die

qualifizierten Bauwerften genau die Wettbewerber, die sie mit Billigschiffen vom

Markt drängen. Hier wäre aus unserer Sicht gegenzusteuern.

Praktisch ist es im Bereich der Schiffssicherheit zu einer Monopolstellung von ein

oder zwei Softwareherstellern gekommen. Diese implementieren die Auslegung der

Sicherheitsregeln. Dadurch verlieren die zentralen Akteure zunehmend die Fähigkeit,

eigene Vorstellungen durchzusetzen. Weiterhin wird durch die praktische

Implementierung der Sicherheitsregeln über diese Schiene direkt Know-how nach

Asien geliefert. Die Europäer bezahlen die Implementierung, und die Asiaten

erwerben sie einfach.

Auf internationaler Ebene sind viele Probleme der Schiffssicherheit nicht oder nur

sehr langfristig lösbar. Unterschiedliche Gesellschaften haben ein unterschiedliches

Risikoakzeptanzniveau und daher kann eine internationale Lösung immer nur auf

dem kleinsten gemeinsamen Nenner erfolgen. Dieser kann aber für europäische

Wertmaßstäbe nicht ausreichend sein und daher müssen unter Umständen

europäische Lösungen geschaffen werden, die vielleicht später einmal international

werden können.

Das Beispiel der für Europa sehr wichtigen RoRo-Fahrgastschiffe

oder die Einführung der SECA/ECA-Zonen zeigt, dass solche Lösungen

durchsetzbar sind. Für die europäische Schiffbauindustrie bedeutet das eine klare

Zukunftssicherung.

Schließlich wäre es wünschenswert, im Interesse der maritimen Industrie die

Auswüchse der Fehlentwicklungen im Bildungssystem zumindest zu lindern, denn

nur durch qualifizierte Ingenieure ist dauerhaft ein überlebensfähiger Schiffbau zu

gewährleisten. Und die essenziellen Zukunftsfragen wie Schutz von Menschenleben

und unserer Umwelt, Energiesicherheit und Klimawandel sowie erneuerbare

Energien können überhaupt nur von qualifizierten Ingenieuren gelöst werden.

Gerade Fragen der Schiffsicherheit sind systemrelevante Fragen, die nur von sehr

qualifizierten und erfahrenen Ingenieuren gelöst werden können.

 

Studie: Analyse und Bewertung des gegenwärtigen Zustandes der Schiffssicherheit (pdf 5,7MB)PDF-Datei